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Predigt als eine seelische Befreiung empfunden habe und ihr darum jauchzend
zugefallen sei. Denn erstlich konnte das Evangelium Luthers nur auf
die wirklich tiefen, feinen, frommen Seelen, welche den lebendigen Gott suchten
und ihre Sünde und Schuld als furchtbare Scheidung von Gott empfanden,
diese befreiende Wirkung üben. Deren waren in der großen Masse aber sicherlich
wenige, die große Mehrzahl wird den Weg zu Gott, den ihm die alte Kirche in
Buße und Sakrament wies, gewiß als völlig genügend empfunden haben. Zum
andern aber ist gerade in der entscheidenden Zeit die evangelische Verkündigung an
denn meisten Orten höchst mangelhaft —*
ee kann das «zufr lärerische Element in der neuen Botschaft,
der Hinweis auf die „Fabeln“, welche die Mönche predigten, und den „Aber
glauben“, den die Priester betätigten, zwar wohl die wenigen Gebildeten, nicht
aber die große Masse für die Reformation gewonnen haben. Denn gerade der
„Aberglaube“ war pa das eigentliche Element, in welchem die vol kstümliche
Frömmigkeit n
sun die Erkenntnis von den großen moralischen Schäden, an welchen
die vorreformatorische Kirche krankte, die Geldgier, das Saufen und „Huren'“
hieler Priester erklären noch nicht die leichte Abwendung vom alten Kirchentypus.
Erstlich hat es doch wohl unter all den Mietlingen auch noch fromme Priester
gegeben. Zweitens war die Masse an den Gedanken einer rein dinglichen Wirkung
der Sakramente gewöhnt und damit auch an den Gedanken, daß die moralische
Beschaffenheit der Priester relativ geringe Bedeutung habe. Drittens maß der
Bauer die Moralität der Priester an seiner eigenen und stellte darum gewiß keine
zu hohen Ansprüche an dieselbe. Das verhängnisvollste für die alte Kirche war doch,
daß der Enthusiasmus, der „Geist“ völlig aus ihr gewichen war, daß ihre Amts—
—
Kraft mehr, Märtyrer ihrer Ueberzeugung zu schaffen. So sind sicher die aller—
meisten Dorfpriester nur allzuleicht bereit gewesen, sich der neuen Ordnung zu
unterwerfen, nur um ihre Einkünfte nicht zu verlieren. Aber das erklärt doch nur
den geringen Widerstand, den die Reformation bei der großen Masse'
des Klerus fand, nicht aber die willige Hinwendung des Volkes zum Reuen
Denn eins, was in diesem Stücke vielfach übersehen wird, dürfen wir doch nicht
dergessen: die Macht der Gewohnheit, der ererbten Sitte, die gerade
in dem religiösen Leßen des unverbildeten Volkes erfahrungsgemäß eine so be—
deutende Rolle * Wenn das Wolk unseres Landes auch später zum Christen—
tum gekommen war als viele andere deutsche Stämme — die mindestens vier Jahr
hunderte, die seit seiner Christianisierung vergangen waren, müssen doch genügt
haben, es in das religiöse Leben des Katholizismus einzugewöhnen““), zumal da
nicht geleugnet werden kann, daß dieser für die Bildung einer allgemeinen Volks—
frömmigkeit sich weit besser eignet als der eine gewisse Höhe der geistigen Kultur
voraussetzende Protestantismus. Es ist darum vorauszusetzen, daß auch unser Volk
trotz aller Mängel des katholischen Kirchenwesens in irgend einem Maße am alten
Glauben hing und seine Kirche lieb hatte. Es ist also sehr ernsthaft' zu fragen:
0) Freilich hat ein bedeutender Historiker unseres Landes mir gegenüber die noch heute öe⸗
stehende durchgängige Unkirchlichkeit Holsteins allen Ernstes damit erklärt, daß gerade Holstein
zu kurze Zeit unter der Zucht der katholischen Kirche gestanden habe, und ein Mann wie
Shaefer (Geschichte Dänemarks, Bd. 4, S. 138) hat geäußert, daß im ganzen Norden
die katholische Zeit sich wie eine Episode zwischen der Zeit des altgermanischen Götterglaubens
und dem lutherischen Christentum ausnehme. Aber so beachtenswert diese Aeußerungen sein
mogen, sind sie doch zu stark überspitzt, um historisch völlig richtig zu sein.