Siegfried Bentzen, 1702
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rande austreiben oder freien, uti loquntur nostri Ilolsatio'. Der Mangel der „modernen
Theologen“ an logischer und dogmatischer Schulung, ihre Gleichgiltigkeit gegenüber einer reinen
und guten Lehrart wird getadelt und sehr richtig ausgeführt, daß der Indifferetismus zum
„Hobbesianismus“ und praktischem Atheismus führe, wie solcher, leider, bei Grosten und Klei
nen, besonders aber bei den Juristen und Politicis schon gang und gäbe sei. Es ist nicht ohne
und berührt uns wie eine Stimme aus der Gegenwart, wenn Wf. gegen die Darstellung der
Pietisten, dast alle Mängel der Kirche nur von den Orthedoxen stammen, ausführt: „Sind
denn nun die armen Priester alles allein Ursach an dem schrecklichen Verfall? Haben denn
die Höfe und die Politici nichts dazu getan? Mein, davon ist altum silentium ben allen
Zeloten und Epferern!“ Der Caesaropapismus ist die Frucht des so hoch gepriesenen Hobbe—
sianismus! „Also auch in den Schrifften der Pietisten und ihrer Gönner dominiret eine
gewisse affeetirte loucceur, mit einem Eyfer zwar vermischet, der aber blos auf die Schwartz—
Röcke gehet, die andern aber, von welchen doch das gankze Wesen dependiret, und die grosien
Raube-Berge gantz unberühret läsit, sie möchten sonst rauchen. Und eben dieses ist mir ein
unfehlbares Indicium, dadurch ich vor Gott und in meinem Gewissen überzeuget bin, daß der
Pietistische Geist aus Gott nicht ist, denn so eyferten die Prorheten nicht, und Johannes pre
digte nicht soe! Die gantze Welt weist und empfindet es mit Schmertzen, was für eine schreck
liche Politique in der Großen ihren Cabinets und Coneciliis regiere; was für ein Sodom und
Gomorrha an den meisten Höfen sich befinde; wie die benyden Götzen: Interesse und die soge,
naunte Gloire sich dergestalt hoch und jeste gesetzt, daß Salus Populi, Semitus miscrorum,
Sanguis Christianorum und die Seelen, die Christus mit seinem Blut so theuer erkauffet,
ben Tausenden diesen Molochs und Idolis aufgeopffert werden: aber davon sagt kein Pietin,
kein Zelote ein Wort“'?!). Vielmehr attachieren sie sich besonders gerne gerade an die Grosien
und diese dulden sie gerne, weil sie die Kraft und die Autorität der Kirche shhwachen. (Seo
S 210ff. u. a.)
Wir sehen: der Schenefelder Pastor war kein blosser Spaßmacher, sondern ein
guter Kenner seiner Zeit und ein trefflicher Apologet einer guten Orthodorie und
eines einfältigen kirchlichen Christeniums. Die Gegenpartei jedoch nahm seine
saftige, sprühende Polemik sehr übel auf. Es wird vermutlich auf Muhlius Ve
treibung geschehen sein, daß zur Vergeltung des Scheiterhaufens, der in der könig
lichen Stadt Altona geraucht hatte, am 5. Mai 1702 auf dem Markte der fürst
lichen Stadt Kiel ein gleicher für Ventzens „Schandschrift“ errichtet wurde. Diese
Behandlung seines Buches mag Bentzen um se empfindlicher getroffen haben, als
er seiner Zeit (1092) in einer besonderen Schrift gegen Thomasius die These ver—
treten hatte, daß die Verbrennung eines Buches durch Henkers Hand als Schande
und berechtigte Strafe für den Verfasser, „soweit ehrlicher Leute guter Name
darinnen von ihm verletzet worden“, anzusehen sei“ (Moller l, 39). Auf diese
Wunde seiner Seele ward jedoch ein linderndes Pflaster dadurch gelegt, daß er
eine (natürlich nur im königlichen Anteil geltende) behördliche Erklärung empfing,
die besagte, das sein quter Name durch die Verbrennung seines Buches nicht ver
nichtet sei“).
3. Streit der GGSS. Zweiter Gang, 1705.
Ausier dem Feuertode fand Bentzens Buch noch eine literarische Entgegnung,
wenn auch nur durch einen Kieler Studiosus)). Damit war der Streit vorläufig
zu Ende, um dann nach Verlauf von drei Jahren desto höher wieder aufzuflammen.
Schwartz hatte zunächst öffentlich geschwiegen und sich damit begnügt, auf ge
21) Breckling hatte gar kraäftig se geredet, aber der hoffähige Pietismus hatte ihn von sich
abgeschieden.
*2) Wortlaut der Erklärung BunIII, 761.
ꝛu) Aufgefangener Brief, darin der von Siefr. Ventzen erregte Fortgang der in der Hol—-
steinischen Kirche entstandenen Troublen unpartheiisch berichtet wird, 1702. Sein Verfasser
war Johannes Jacobus Schwelau.