Full text: 1517 - 1721 (2)

Wildhagen gegen Sibbern, 1705 
7. 
erst, wenn am jüngsten Tage beydes, Leib und Seele selig wird. Anfänglich 
linchoative) selig werden wir nicht, wie die Gegner behaupten, schon in diesem 
Leben, sondern erst im Tode, wenn die Seele in das Reich der Glorie eingeht. 
Wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung (Röm. 8, 24). Die wirkliche Selig 
keit besteht in der wahrhaftigen Gottesschau, die wir hier eben noch nicht haben, 
denn wir leben im Glauben und nicht im Schauen. Auch die Freiheit von Leid 
und Sünde, welche wir einst haben werden, hier aber noch nicht haben, bedingt, 
daß die Seligkeit, die wir hier haben, wesentlich und nicht bloß eigen— 
schaftlich von der wirklichen verschieden ist. Die entgegengesetzten Aeußerungen 
der Schrift sind uneigentliche Bezeichnungen der Begriffe Leben und Seligkeit. — 
Man darf sagen, daß die These von der wesentlichen Verschieden 
heitt der Seligkeit hier und dort hier gründlich und siegreich verfochten ist. 
Das Greifswalder Bedenken (vom 23. Februar 17060) meint: 
die Lehre, „daß die Gläubigen die Seligkeit würcklich nach etlichen Stufen dero 
selben hier in diesem Gnadenreich besitzen und deroselben geniessen“, sei von mauchen 
„reinen Lehrern““, wie Wigand, Gallus, Hülsemann und gelegentlich Luther selbst 
verlreten worden, so daß, was die Lehre an sich betreffe, keiner den andern eines 
kelkerischen, irrigen Lehrsatzes zu beschuldigen habe. Aber si duo faciunt idem, 
non est idem: wenn Sibbern zugestandenermasien des Statius „Schatzkammer“ 
öffentlich rekommandiert habe, so zeige er, dasß er die Lehre von der wirklichen 
Seligkeit im Gnadenreich in irrigem Verstande auffasse und treibe, wie er auch 
durch sein ärgerliches censiren der Fragstücke Luthers seinen irrigen Sinn an den 
Tag geleget habe. In Erwegung dieser Umstände habe Wildhagen „nach Er 
heischung seines Amptes wohl und löblich gethan, daß er bey diesen denen Schwär— 
mern zugethanen elenden Zeiten“ sich „diesem gefährlichen Anfang widersetzet 
habe“. Das Gutachten schließt mit dem Wunsche, daß Gott, wie er „Ihre Königl. 
Manst. von Dennemarck Königreiche und Länder für den fanatischen und pie— 
tistischen Gifft bißhero behütet . . . absonderlich das Holsteinische Zion allezeit 
rein und lauter davon erhalte.“ 
Aehnlich urteilt das Wittenberger Bedenken (vom 15. Febrnar 
1700). Obwohl an sich unanstößiig, sei die Lehre von der Seligkeit der Gläubigen 
in diesem Leben von Spener häßlich verworren und müsse daher mit Worsicht 
behandelt werden. Denn so wie sie neuerlich verkündet werde, fließe sie teils aus 
dem Bochmismo, daß ein Mensch Himmel und Hölle schon in diesem Leben 
bey sich selbst habe; theils aus dem Pietistischen Chiliasmo, nach welchem man 
sich noch auff dieser Welt ein herrliches Leben verspricht und dabep sich wenig 
oder gar nichts nach der ewigen Seligkeit sehnet“, ja bei solcher hypothesi werde 
die ewige Glori und Herrlichkeit verdunckelt oder gar elidiert.“ Schliestich bittet 
die Fakultät Wildhagen, er möge ihr Bedenken seinem Kollegen „kommunizieren 
in der Hoffnung, daß derselbe, gleichwie er so lange Zeit seiner Gemeinde mit 
heilsamer Lehre und unsträflichem Wandel vorgestanden, auch hierinnen eine rich— 
tige Meinung haben und sich wegen ein und anderer ungleichen Redens-Art mit 
der rechtglänbigen Kirche gleichförmig erklären werde . . . Wie denn ein gelindes 
Wort offt viel Hader stillet.“ 
Dieser freundliche Wunsch der Wittenberger ging nicht in Erfüllung. Viel— 
leicht wäre die leidige Streitfrage begraben worden, wenn sie auf diesem amtlichen 
Wege geblieben wäre, zumal den beiden Streitern „endlich von Königlicher Majestät 
unmittelbar Silentium in der Sache imponiret und daß sie im instehenden
	        
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