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Synodo erörtert werden solle allergnädigst verordnet worden war“ (Theologische
Belehrungen S. 4). Nun aber fand sich Wildhagen (vermutlich nicht ohne
Schwartzens Zustimmung) gemüßigt, die drei ihm gewordenen Gutachten schleu—
nigst zu veröffentlichen ““,. Auf der andern Seite suchte nun auch Sibbern
Schutz, und zwar bei einem einflusireichhen Manne, der auch des Königs Ohr
hatte und so dem Königlichen Generalsuperintendenten wirksam entgegenzutreten
mistande war, nämlich dem schon genannten Hofprediger Lütkens (I14.
September 1706).
Damit war der pietistischen Partei gute Gelegenheit gegeben, sich in die Sache
hineinzumischen, und dem verhaßten Vorkämpfer der Orthodoxie von neuem der
Fehdehandschuh hinzuwerfen. Schon Lütkens selber hatte in seiner „Moht-
dringenden Anrede“ S. 131 ff. den Streitfall berührt, nach Schwart—
ens Meinung auf Muhlins' Inspiration “).
Im April 1708 erhob sich dann Muhelius selber, und diesmal tatsächlich
zu einer längeren und gründlicheren Erörterung der Streitfrage *).
Diese Schrift gehört zu seinen besten. Die eigentliche Abhandlung (208 Quart—
eiten) ist eine Sammlung von Aussprüchen Luthers, welche, wie Mf. selber sagt,
„mit Fug ein Corpus Doctrinae Lutheri“ genannt werden kann und in einer
Zeit, da die lutherische Streittheologie des echten Luthers fast vergessen hatte,
desonders wertvoll war, weil sie auf den lebendigen Quell des Geistes, der in
einen Schriften fließt, zurückführt. Es ist Muhlius Verdienst, das mystische
Element, das in Luther steckt, wieder zu Geltung zu bringen“).
Auch der lange „Vor bericht“ (80 Quartseiten) wirkt erfreulich, insofern
diesmal bis auf wenige Reste die persönlichen Beschimpfungen Schwartzens unter—
wegs bleiben, und ein wertvoller s. z. s. dogmengeschichtlicher Abrist über die Lehre
von der gegenwärtigen Seligkeit in der lutherischen Kirche gegeben wird. Das
Resultat ist: Es entspricht der Lehre der Schrift und dem Bekenntnis zahlreicher
oortrefflicher Lehrer der evangelischen (d. h. der lutherischen) Kirche, daß die gegen—
wärtige Seligkeit der Gläubigen nicht nur dem Namen nach, sondern in der Tat
und Wahrheit eine wirkliche Seligkeit ist, und also zwischen der gegenwärtigen
und der zukünftigen nicht sowohl ein wesentlicher, sondern nur ein gra—
dualer Unterschied besteht. Wenn M. solchen Unterschied durchaus und in
gjanz nüchterner Weise geltend macht, so kann man sagen, daß er in dieser Sache
nicht einseitig übertreibt, sondern die rechte Vermittelung zwischen den streitenden
Standpunkten gegeben hat. Der Pferdefuß seiner Heterodorie oder besser gesagt,
seiner zwar nicht gewollten, aber tatsächlichen Geringachtung der rechten reinen
»u) Anonym unter dem Titel „Theologische Betehrnugen von einer sich in
Holstein erhobenen Neuen Lehre, daß die Glaubigen das ewige Leben in diesem Leben dem
Aufang nach würklich und in der That haben und besitzen.“ Hamburg, bey Christian Liebezeit,
706 (64 S. in 149).
uu) Schwartz hielt sogar Muhlius für den Verfasser der ganzen Schrift („Erweiterte Wider-
iegung“ S. 28 ff.).
ꝛ) Der unverfälschte Sinn unsers lieben Vaters ...Lutheri in
dem bestrittenen Lehr Satze von der würcklichen Seligkeit der Gläubigen alhier in diesem
eben . .. Kiel, 1708.
*i) Mit Recht sagt M. (Vorrede d 4): „.. so kann uns Lutherus von der Freyheit, wie
auch Friede und Freude des Heil. Geistes ... am kräftigsten unterrichten und hatten nach
seinem Erempel auch die alten Theologi und Reformatores hievon keinen so magern
Begriff „als man wohl in vielen neueren Systematibus und
Schrifften zuweilen antrifft“—.