Schwartz' letzte Kampfschrift, 1709
Dassov bei seinem Scheiden vom Kieler Professorenamt hielt und veröffent—
lichte *).
Der so in unserm Lande geführte Streit hinterläßt bei uns einen durchaus
unbefriedigenden Eindruck, nicht nur weil so viel Menschliches sich dahinein mischte,
sondern auch und vor allem, weil er mit den damaligen Mitteln der Theologie
(auf der einen Seite die Logik, auf der andern Seite das in dicta probantia
(„Veweisstellen“') aufgelöste Wort der Schrift) schlechterdings nicht zu Ende zu
bringen war. Denn nach unserer besseren Erkenntnis der Schrift handelt es
sich in dieser Frage nicht um ein Entweder — Oder, sondern um ein Sowohl —
als auch. Es ist schriftmästig, wenn die Orthodoren das Heilsqut im wesentlichen
als ein zukünftiges betrachten, es entspricht aber gleichfalls der Schrift, wenn
die Pietisten es als ein bereits gegenwärtig zu genießendes auffassen. Die Frage
kann nur sein, auf welche Seite der Ton zu legen ist. Und da muß man m. E.
den orthodoren Kämpfern insofern Recht geben, als es in einer Zeit, wo aus
einer übersteigerten religiösen Reizbarkeit des gläubigen Subjekts nur allzuleicht
ein ungesundes und schwärmerisches Christentum heraufstieg, durchaus angebracht
war, das subjektive Christenleben recht nüchtern zu betrachten, und dessen realen
Unterschied von dem, was kommen soll, kräftig zu unterstreichen“)
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§ 28. Otto Lorentzen Strandiger (16850 - 1724)
Ehe wir mit der Schilderung des theologischen Kampfes gegen den Pietismus
fertfahren, haben wir eines Mannes zu gedenken, der in seiner Entwicklung ein
sehr bezeichnendes Beispiel dafür bietet, wie der konsequente Pietismus
schlieülich zum Separatismus führen muß')
1. Otto Lorentzen Strandiger.
Als Sohn Lorenz Hansens, eines Flensburger Kaufmanns, geboren (um 1050),
studierte Otto Lorentzen in Königsberg, und wirkte 22 Jahre lang (von 1077 bis
1098) als Pastor in Odenbüll auf Nord strand. Von diesem „Strande“
her nahm er seinen „Gelehrtennamen“ Strandiger. Mon glühender Liebe zu
seinem Heiland beseelt, der Welt und ihren Eitelkeiten entsagend, opfer- und
leidensbereit, arbeitete er in seiner Gemeinde für die Ideale des ersten Christen—
tums. Es konnte nicht ausbleiben, daß er dadurch mit den „Weltgesinnten“
schliesilich in Konflikt geriet. Es steht nicht völlig fest, worin genauer dieser Kon—
flikt bestand. Er soll zu kräftig gegen die Katholiken gepredigt haben, und solche
waren ja die Herren des Landes und die Patrone der Kirche. Vermutlich wird
auch zu strenge Kirchenzucht ihm starke Feindschaft erregt haben. Jedensalls
musite er „in der Marterwoche“ 16098 mit seinem Weibe und seinem Sohn die
Insel verlassen. Er selber hat später lebhast bestritten, das er seines Amtes
entsetzat sei. Eine' disziplinare Untersuchung durch das zuständiage Konsistorium
*) Initium actualis Beatitudinis gloriosae etc. Kilonii (Decembr. 19009).
*1) Vgl. das besonnene Urteil V. E. Löschers in den „Unschuldigen Machrichten“ 1700.
S. 2160- 109.
) Zu Strandiger vgl. J-MeIV, 179j. Für meine Darstellung habe ich mich haupt-
sächlich an Strandigers eigene weiterhin genannte Schriften gehalten.