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scheint auch nicht stattgefunden zu haben. Anscheinend handelt es sich vielmehr
um eine zwangsweise „Translozierung“: die Gottorfer Regierung wollte den
lokalen Gewalten zu Gefallen den unbequemen Pastor von der Insel entfernen
und bot ihm das erledigte Pastorat in Trittau an. Er aber weigerte sich dorthin
zu gehen. In diesem „Ungehorsam“ gegen die vorgesetzte Behörde zeigt sich schon
bei ihm ein Charakterzug, der ihn zum Sektierer prädisponierte: ein starker Eigen
wille, der sich zum rechthaberischen Eigensinn steigern konnte. Lieber als an den
ihm pon der Obrigkeit gewiesenen Ort zog er in eine ungewisse Zukunft.
Er wandte sich nach seiner Vaterstadt Flensburg — auch seine Frau war
eine Flensburgerin, eine Schwester Hinrich Brakers — und es gelang ihm schnell,
dort eine zwar wenig lohnende, aber doch ihn vorläufig befriedigende Tätigkeit
zu finden: an der St. Marienkirche, an der damals ein Enkel Klotzens, Stephan
Jebsen, als Pastor und Ocksen als Diakonus standen, wurde er mit Genehmigung
der Patrone und Aeltesten als eine Art von Adjunkt angestellt: er sollte in einer
Reihe von Nachmittags- und Wochenpredigten die Kollegen entlasten, die Armen
betreuen und kranke Leute in ihrer Wohnung mit dem Trost des Evangeliums
versorgen.
Mit dem gewohnten Eifer nahm er sich dieser Tätigkeit an. Wir besitzen ein
Zeugnis, das ihm im Jahre 1704 von der Gemeinde ausgestellt worden ist).
Strandiger war also ein Mann, der in jeder Gemeinde der Kirche zur Zierde
gereicht hätte. Es liegt eine tiefe Tragik darin, daß ein so frommer und tüchtiger
Mann schliestlich auf die Bahn des Sektentums und der unheilbaren Verfeindung
mit der Kirche gedrängt worden ist. Die Haupischuld daran, dasi es so gekommen
ist, tragen neben seiner cigenen Eigenwilligkeit die starre Orthodorie des GS
Schwartz und — vor allem — der feindselige Hasi, mit dem ihn sein eigener
Schwager, Hinrich Braker, verfolgte. Dieser Haß ist um so erklärlicher, als einst
die beiden in der gleichen Liebe zu Spener und dessen Ideal vom wahren Christen—
ium verbunden gewesen waren. Seitdem Braker bekehrt oder, wie Strandiger sich
ausdrückt, „verkehrt“ worden war, sah dieser in jenem einen Apostaten der guten
Sache und verachtete ihn, Braker aber vergalt die Verachtung, indem er nach
Art eines Detektivs allem nachspürte, wodurch sein Schwager sich in Wort oder
Tat verdächtig machte.
2. Strandigers Disziplinierung.
Schon im Jahre 1701 hatte Braker so viel zusammen, daß Strandiger zum
7. Juni vor das Flensburger Konsistorium zur Verantwortung gezogen werden
konnte. Schwartz führte in persona den Vorsitz. Es kam zur Sprache, dasi
der Angeklagte allerlei irrige und anstösiige Reden geführt, das Ministerinm ge—
lästert habe als Leute, welche die Gnadenpredigt misibrauchten, keine wahre Buße
predigten u. a. Strandiger bestritt entschieden, dast er irgendwie irr ige Lehre
) Vgl. Heilsahme Warheit S. 478 —81. „Hat er solche Arbeit durch Gottes Gnade mit
aller Treue nun in die 0 Jahren gethan und dabey nicht seinen Mutzen, sondern das was
Jesu Christi ist gesuchet, wie hieselbsten in der gantzen Stadt offenbar ist, und ein jeder un—
xartheiischer christlicher Mensch gestehen wird ... hat allezeit erbaulich gelehret und ernstlich
gesuchet die Menschen von ihren sündigen Wegen zu Gott zu bringen, daben die Jugend in der
Kirchen und täglich in seinem Hause fleiftig im Verstand des Catechismi und Christenthums
unterrichtet ... sein Leben unter uns ohntadelich zum Vorbilde der Gemeine geführet und mit
dem wenigen, so er für seine Arbeit genossen, wol zufrieden und vergnügt gewesen ... auch die
Kranken fleistig besucht und informiert.“