Full text: 1517 - 1721 (2)

3. Strandiger wird zum erklärten Separatisten. 
Bisher war seine Lehre nur von streng orthedoxer Seite angefochten worden. 
Nunmehr nahm sein dogmatisches Denken eine Richtung, in der auch seine ihm 
wohl gesinnten Flensburger Amtsbrüder ihm nicht mehr zu folgen vermochten: 
aus einem entschiedenen Pietisten warder jetzt zumer 
klärten Sektierer. 
Ein Flensburger Bürger namens Gerddt Lange war nach seiner „Be 
kehrung“ auf sektiererische Bahnen gekommen, hatte der Kirche und dem Abend⸗ 
mahl abgesagt, sein Kind nicht taufen lassen und war daun, von der ehrbaren 
Bürgerschaft übel angesehen, nach Hamburg gezogen. Im Sommer 1706 machte 
Strandiger ihm einen Besuch und kam nach Flensburg zurück, einerseits mit der 
ihn erquickenden Gewisiheit, das Gerdt Lange, den die kirchenfrommen Bürger 
für einen Verdammten hielten, trotz oder gerade wegen seiner Kirchenlosigkeit „in 
seligem Stande“ sei, andererseits mit immer mehr sich verstärkenden Zweifeln an 
der Schriftmäßigkeit der Kindertaufe. Als er sich hier und da bei seinen Be— 
kannten in diesem Sinne äusirte, erregte das bei manchen, die ihn bisher lieb 
gehabt hatten, Verwunderung und Trauer. Nicht nur der immer auf der Lauer 
liegende Braker, sondern auch das Stadteberhaupt, der Bürgermeister Valentiner 
fand, eine so „fanatische“ Lehre wie die, daß die Kindertaufe nicht recht sei, dürfe 
in der „guten Stadt Flensburg“ nicht geduldet werden. Bürgermeister und Rat 
richteten an das Konsistorium, z. H. des Vizepropsten Hover, die Aufforderung, 
als Hüter der reinen Lehre ihre Pflicht zu tun. Als die geistliche Behörde nur 
matt und „kaltsinnig“ darauf reagierte — offenbar hatte ihre Mehrzahl nicht 
rechte Lust zu einem neuen Ketzergericht — wandten Bürgermeister und Rat am 
23. August 1706 sich noch einmal an dieselbe, verlangten in drohendem Tone eine 
Untersuchung, widrigenfalls sie sich unter Berufung auf die Verordnung vom 
15. Oktober 1094 (vgl. oben S. 357) an den König wenden müsiten. Als auch 
daraufhin das Konsistorium noch nicht genügend Ernst zu machen schien, wandte 
man sich am 23. Dezember an GS Schwaͤrtz als „hiesigen Probsten“) und 
bat ihn „mit allem Fleisi darüber zu sein, daß diese affaire gründlich und ernstlich 
untersuchet, und damit (mit Strandigers Aeußerungen, namentlich über die Kinder— 
taufe) nicht von newen mehr (Leute) angestecket und geärgert werden“. Schwartz 
erwirkte, wie es scheint, einen königlichen Befehl, und so musite das Konsistorium 
denn endlich an die gründliche Untersuchung heran. Daß man das mit Wider 
willen tat, ergibt sich aus der fabelhaften Langsamkeit, mit der man voraging. 
Auch Strandiger mit seinen ewigen „Erceptionen“ und „Dilationen“ tat das 
seinige dazu. Am 8. März 1707 wurde er vor das Konsistorium zitiert. Dies 
legte ihm zwei Fragen vor: 
l. Ob die Kindertaufe von Christo eingesetzet und befohlen oder nicht? und 
folgends ein jeder Christ schuldig sei nach solcher Einsetzung seine Kinder taufen 
zu lassen oder nicht? 
)Od er glaube, das der Gottesdienst in unserer Kirche so verderbt, daß ein 
gewissenhafter Christ Ursache haben kann, deswegen sich vom öffentlichen Gottes 
dienst, Anhörung göttlichen Wortes und H. Abendmahles iu absentieren; und 
worin nach seiner Meinung solch Verderben bestehe? 
) Schwartz war der eigentliche Flensburger Propst, Andreas Hoyer wirkte als sein 
„Vizepropst“.
	        
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