3. Strandiger wird zum erklärten Separatisten.
Bisher war seine Lehre nur von streng orthedoxer Seite angefochten worden.
Nunmehr nahm sein dogmatisches Denken eine Richtung, in der auch seine ihm
wohl gesinnten Flensburger Amtsbrüder ihm nicht mehr zu folgen vermochten:
aus einem entschiedenen Pietisten warder jetzt zumer
klärten Sektierer.
Ein Flensburger Bürger namens Gerddt Lange war nach seiner „Be
kehrung“ auf sektiererische Bahnen gekommen, hatte der Kirche und dem Abend⸗
mahl abgesagt, sein Kind nicht taufen lassen und war daun, von der ehrbaren
Bürgerschaft übel angesehen, nach Hamburg gezogen. Im Sommer 1706 machte
Strandiger ihm einen Besuch und kam nach Flensburg zurück, einerseits mit der
ihn erquickenden Gewisiheit, das Gerdt Lange, den die kirchenfrommen Bürger
für einen Verdammten hielten, trotz oder gerade wegen seiner Kirchenlosigkeit „in
seligem Stande“ sei, andererseits mit immer mehr sich verstärkenden Zweifeln an
der Schriftmäßigkeit der Kindertaufe. Als er sich hier und da bei seinen Be—
kannten in diesem Sinne äusirte, erregte das bei manchen, die ihn bisher lieb
gehabt hatten, Verwunderung und Trauer. Nicht nur der immer auf der Lauer
liegende Braker, sondern auch das Stadteberhaupt, der Bürgermeister Valentiner
fand, eine so „fanatische“ Lehre wie die, daß die Kindertaufe nicht recht sei, dürfe
in der „guten Stadt Flensburg“ nicht geduldet werden. Bürgermeister und Rat
richteten an das Konsistorium, z. H. des Vizepropsten Hover, die Aufforderung,
als Hüter der reinen Lehre ihre Pflicht zu tun. Als die geistliche Behörde nur
matt und „kaltsinnig“ darauf reagierte — offenbar hatte ihre Mehrzahl nicht
rechte Lust zu einem neuen Ketzergericht — wandten Bürgermeister und Rat am
23. August 1706 sich noch einmal an dieselbe, verlangten in drohendem Tone eine
Untersuchung, widrigenfalls sie sich unter Berufung auf die Verordnung vom
15. Oktober 1094 (vgl. oben S. 357) an den König wenden müsiten. Als auch
daraufhin das Konsistorium noch nicht genügend Ernst zu machen schien, wandte
man sich am 23. Dezember an GS Schwaͤrtz als „hiesigen Probsten“) und
bat ihn „mit allem Fleisi darüber zu sein, daß diese affaire gründlich und ernstlich
untersuchet, und damit (mit Strandigers Aeußerungen, namentlich über die Kinder—
taufe) nicht von newen mehr (Leute) angestecket und geärgert werden“. Schwartz
erwirkte, wie es scheint, einen königlichen Befehl, und so musite das Konsistorium
denn endlich an die gründliche Untersuchung heran. Daß man das mit Wider
willen tat, ergibt sich aus der fabelhaften Langsamkeit, mit der man voraging.
Auch Strandiger mit seinen ewigen „Erceptionen“ und „Dilationen“ tat das
seinige dazu. Am 8. März 1707 wurde er vor das Konsistorium zitiert. Dies
legte ihm zwei Fragen vor:
l. Ob die Kindertaufe von Christo eingesetzet und befohlen oder nicht? und
folgends ein jeder Christ schuldig sei nach solcher Einsetzung seine Kinder taufen
zu lassen oder nicht?
)Od er glaube, das der Gottesdienst in unserer Kirche so verderbt, daß ein
gewissenhafter Christ Ursache haben kann, deswegen sich vom öffentlichen Gottes
dienst, Anhörung göttlichen Wortes und H. Abendmahles iu absentieren; und
worin nach seiner Meinung solch Verderben bestehe?
) Schwartz war der eigentliche Flensburger Propst, Andreas Hoyer wirkte als sein
„Vizepropst“.