O. v. Strandigers Ausgang
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Klarheit und Stärke gewonnen: er wandelt nun in der Beurteilung der „christ—
lichen Welt“ und des geistlichen Standes völlig auf den Wegen Brecklings, und
nicht nur die symbolischen Bücher, sondern auch Luther selbst “), haben jede
normative und autoritative Bedeutung für ihn verloren. Die schriftgemäsieste
„Sekte“ sind für ihn die Mennoniten.
Es folgte noch eine „Ausführliche Verthädigung seiner Wieder
legung usw.“ von seiten Trellunds (Leipzig 1719) und ein kurzer „Brief“
an diesen von seite Strandigers (1720). 1724 ist der von der königlich
dänischen lutherischen Kirche erkommunizierte „Ketzer““ etwa 70jährig im Eril
verstorben.
Fast noch mehr als bei Breckling bedauert man, daß die Kirche unseres Landes
cinen so aufrichtig frommen und ernsten Christen nicht als ihren Diener hat be
halten können. Denn so ähnlich beider Schicksale sind, in ihrem Charakter finden
wir doch starke Verschiedenheiten: Vreckling war s. z. . der geborene Se
paratist, d. h. ein Mann, der vermöge seines ungemessenen Subjektivismus in
eine organisierte Kirche überhaupt nicht hineinpasite, Strandiger dagegen hat sich
viel redliche Mühe gegeben, sich mit den kirchlichen Gegebenheiten abzufinden, und
ist zur endlichen völligen Abwendung von der Heimatkirche vor allem doch durch
die von ihm als ungerecht empfundene, von seinem Schwager Braker unermüdlich
betriebene Disziplinierung gelangt. Er ist demütiger, liebenswürdiger und gerechter
als der so selbstbewusite und herrische Breckling, in seiner geistigen Bedeutung
dagegen steht er hinter diesem erheblich zurück.
529. Endkampf gegen den Pietismus (1710 - 24).
Mit Josua Schwartz war der energischste Kämpfer gegen den in unser Land
eindringenden Pietismus dahingegangen. Aber der Kampf war damit noch nicht
zu Ende, anderthalb Jahrzehnte sollten noch dahingehen, bis der (gemäßigte) Pie
tismus in unserm Lande als vollberechtigte kirchliche Richtung anerkannt war.
Im Königlichen Anteil folgten auf Schwartz noch zwei schroff orthodore Ober
hirten (Dassos 1700 — 21, Clausen 1721— 24), welche in ihrer Weise und nach
ihren Kräften den Kampf des alten Recken fortsetzten. Aber ihre Kraft war schon
gelähmt, vor allem dadurch, daß an Allerhöchster Stelle und bei den Königlichen
Oberbehörden in Kopenhagen, Glückstadt und Schleswig der gegen den Pietismus
gerichtete Wind allmählich immer flauer wehte, bis er endlich mit dem Thron
folger gänzlich umschlug, und die neue Richtung mit vollen Segeln in die Kirchen
Dänemarks und der Herzogtümer einfahren konnte. Zunächst freilich müssen wir
erleben, daß wie in so vielen evangelischen Territorien') auch bei uns die staat
lichen Instanzen den kirchlichen, theologischen Vemühungen gegen den Pietismus
zu Hilse kamen.
—VD
Merkwürdigerweise begann diese staatliche Reaktion in dem bisher im pie
tistischen Sinne geleiteten Gottorf.
12) Val. S. 213: „Der Himmel möchte sich darüber entfärben, und blutige Thränen möchte
man vergiesien über solche ertreme, ärgerliche und verführerische Reden Luthers.“
) Veral. die Zusammenstellung obrigkeitlicher Edikte gegen den Pietismus bei Loescher
S. 1152141.