Full text: 1517 - 1721 (2)

B. 1, 9 1. Einleitung 
dem Bauern zunächst schwer, so das Trinken des Kelches beim Abendmahl?“). An— 
deres war nicht angenehm, so, daß man als erwachsener Mensch seinen Katechismus 
wieder lernen mußte. Aber im Ganzen waren die Aenderungen derart, daß auch 
der Einfältigste nicht auf den Gedanken kommen konnte, man wolle ihm seinen 
„Christenglauben“ nehmen. Manche Aenderungen, wie der Gebrauch der Mutter. 
sprache im Gottesdienst und das Ehelichwerden der Priester werden nicht nur den 
Bauern, sondern auch den Seelsorgern, die zum größten Teil mit dem Latein auf 
schlechtem Fuße standen und den unehelichen Verkehr mit ihren Konkubinen als 
Bgwissenslast empfanden, von vornherein als wohltätig empfunden worden sein“). 
aree Ausführungen wollen nichts weiter sein als ein bescheidener Bei⸗ 
trag zu der Frage, warum sich bei uns die Reformation so ruhig vollziehen konnte 
ind damit zur Psychologie des Reformationsjahrhunderts. Die äußerlichen Tat⸗ 
sachen sind leicht berichtet; wenn die gebil dete Schicht des deutschen Volkes 
im allgemeinen die Gedanken der Reformation freudig begrüßte, so verstehen wir 
das — was uns als Menschen des 20. Jahrhunderts äußerst schwer fällt, ist das 
zutreffende Verständnis der Gedanken und Empfindungen, mit welchen auf einer 
so weit zurückliegenden Kulturstufe die gro ße Masse einen so folgenschweren 
uind zukunftsträchtigen geschichtlichen Vorgang, wie die Reformation ist, erlebt 
haben. Zugleich erhellt, welche ungeheure Aufgabe der neuen Kirche nach der 
iußeren Einführung der Reformation noch harrte: es handelt sich um nichts 
geringeres als darum, durch Predigt und Lehre, durch Katechismus- und besseren 
Schulunterricht dem Kirchenvolk erst das tiefere Verständnis des Lutherschen 
Geisteserbes allmählich beizubringen. Wie weit das dem sog. Zeitalter der Ortho— 
doxie gelungen oder nicht gelungen ist, wird das zweite Buch dieses Werkes lehren. 
Zunächst wenden wir unss nun zu der Erzählung des äusseren Hergangs 
der rden wer and 
) Vol. Ord. lat. S. 25. KkO S. 47. 
22) Sehr bemerkenswert ist, was J. A. Cypraeus, der Schleswiger Konvertit, als „in 
seinem Vaterlande“ erhaltene „Reste der alten und väterlichen Religion“ wertet. Außer dem 
ben aufgezählten rechnet er dazu das „Schlagen der Orgeln in fast allen Städten, aber auch in 
nanchen größeren Dörfern“'; den Gebrauch der alten Taufsteine, die Lesung und Erklärung der 
onntäglichen Evangelien und Episteln, „prout in Ecclesia Catholica receptum ac 
approbatum“; die erhaltenen Kirchenfeste; die dreitägigen Buß- und Betfeiern vor dem 
Sonntag Rogate; die Austreibung und Abschwörung des Teufels und das Kreuzeszeichen an 
Stirn und Brust bei der Taufe; die Beibehaltung der runden Hostie mit dem Zeichen des ge— 
kreuzigten Christus; das Aufstehen „des Volkes“ bei dem Verlesen oder Absingen der 
Evangelien und Episteln, das Knieen beim Empfang des Abendmahls; den Gebrauch der 
Kirchenglocken. Als alte Gebräuche, die sich noch in „manchen, sonderlich in ländlichen Gegenden“ 
u seiner Zeit (10341) fanden, nennt er die bei feierlichen Beerdigungen knieend verrichteten 
Hebete für den Verstorbenen, von denen sich die Bauern auf keine Weise 
abbringenlassenwollen; daß sie bei Erwähnung der Verstorbenen allemal sprechen: 
„Deren Seelen Gott gnade!“, daß man sich vor und nach dem Gebet, beim Eintritt in die 
Kirche und beim Austritt aus ihr, vor der Mahlzeit und dem Schlafengehen bekrenzigt; daß 
nanche sich am heiligen Freitag des Fleisches enthalten, andere bis um Sonnenuntergang völlig 
'asten, et quae sunt aliae Cacremoniae. Vergi. Annales Ep. Sl. S. 440 - 44. — Um 
16000 knieeten auf Föhr noch ältere Frauen vor den Heiligenbildern in der Kirche (BuM. 9, 
169). Man vergleiche auch, welche „seltsamen“ (katholischen) Bilder und Bildinschriften sich 
nroch 1649 in nordschleswigschen Kirchen fanden, und die weise Bemerkung des Königs dazu: 
Derartiges könne wohl mit der Zeit abgeschaffet werden, aber „jeitzo so schleunigdamit 
eformatienfürzunehmen mögtebeydeneinfältigenLeuten Mach 
denkungund Irrung machen“ (BuM. 7, 533 f.). — So könnten gewiß noch viele 
Zeugnisse für die gemäßigte Art, in der die Reformation bei uns zu Lande durchgeführt wurde, 
ind von lange noch bestehenden Resten des Alten gefunden werden: wer sich damit einmal speriell 
beschäftigen wollte, erwürbe sich ein geschichtliches Verdienst!
	        
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