Flensburger Konflikt mit Dassov
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wie es scheint, in Kopenhagen beliebt war') und insofern gegen die Attacken der
Orthodoxie einen festen Rückhalt besaß.
Der von diesen Männern sowie dem prächtige Rektor Möller ver—
tretene Pietismus war eigener Art, man möchte fast sagen: ein Flensburger Spe
zifitum. Sie waren wirkliche Pietisten, d. h. bewußte Verehrer Speners, und
nicht ohne Verbindung mit Halle — der Propst ließ dort zwei Söhne studieren —
aber sie lehnten allen Enthusiasmus ab und standen fest auf dem Boden der Kirche
und der kirchlichen Lehre“). Was sie wollten, war eigentlich nichts anderes als
lebendige Kirchlichkeit und frommes Leben. Deshalb lehnten sie den Parteinamen
„Pietisten“ für sich durchaus ab und bezeichneten wie damals so manche ihrer Art
den Pietismus als ein non ens, d. h. als etwas in seiner Besonderheit gar nicht
eristierendes ).
Dieser Flensburger — Kryptopietismus, der unter Schwartzens Regiment trot
allem Treiben Brakers sich hatte halten können “), geriet mit dem neuen GS
schon bald nach dessen Amtsantritt in schärfsten Konflikt.
Diesmal aber ging die Sache nicht von Vraker aus, wenn dieser auch im
weiteren Verlaufe hinter den Kulissen eifrig gegen seine Amtsbrüder wirkte,
sondern von einem „Fremdling“, einem aus Franken stammenden langjährigen
Stud. theol., der in Wittenberg zum Mag. Philosophiae promoviert war
und schon mehrjährige Kämpfe gegen den Pietismus hinter sich hatte, Johann
Audreas Göbel. In einer Schrift gegen „Wincklers sog. Arcanum
Regium“ 7), hatte er den König von Preusien und „dessen glorwürdigsten Herrn
Vater ziemlichermasien angezapfet““. Der König verlangte erst von Leipzig, dann
von Jena seine Auslieferung; Göbel floh nach Hamburg und ging, „weil er sich
auch daselbsten vor J. M. von Preußen nicht sicher gefühlt“, nach Altona, wo er
sich einige Jahre aufhielt und eine „Apologiam zu Declinirung K. M. von
Preußen Ungnade in Druck gehen liesi“. Ueber Jütland kam er dann nach Flens
burg, wo „auf Brakers Ansuchen“ J—?“. Jebsen von St. Marien ihn in sein
Haus aufnahm.
Zwischen Ostern und Pfingsten 1711 stattete dieser Mann dem Diakonus an
St. Marien Frauz Mölleer eine Visite ab, bei welcher scheinbar ganz freund
lich über allerlei theologische Fragen, wie die Theopneustie der Symbolischen
Bücher, die gegenwärtige Seligkeit der Gläubigen und die Wertung der Halleschen
Theologie gesprochen wurde. Nachher mustte Möller erfahren, dasi Göbel ihn hin
und her in der Stadt aufgrund jenes Gespräches pietistischer Irrlehren beschuldigte.
Ja, am 3. Pfingsttage hielt dieser in der Marienkirche eine Predigt, in der er
aufs heftigste gegen Fanatiker, Schwärmer und Pietisten loszog und nicht un
deutlich merken ließ, daß Möller auch einer dieses Gelichters sei.
Durch die ihm so 'bereitete „falsche Blame“ aufs höchste aufgebracht, zitierte
) Das wird schon dadurch bewiesen, dast er nach Clausens Tode, 1724, trotz seiner 70 Jahre
zum GS befördert wurde (4 1728).
) Das hatten sie bei Strandiger bewiesen, dem sie freundlich gesinunt waren, solange er auf
kirchliem Voden blieb, aber deutlich von ihm abrückten, als er die Kindertaufe aufgab.
5) Damit hatten sie ja insefern Recht, als das, was man Pietismus naunte, tatsächlich in
allen möglichen Farben schillerte, vom aröbsten Enthusiasmus bis ur einfachen lebendigen
Frömmigkeit.
0) Propst Hover rühmt in einem Aktenstück Schwarzens Gerechtigkeitssinn, Offenheit und
Gradheit: die Angebereien Brakers habe er stets den Betrofferen zur Aeußterung zugestellt und
dann meist zufriedenstellenden Bescheid bekommen.
7) So Hoper. Ich habe die Schrift bisher nicht identifizieren können.
Feddersen, Kirchengeschichte, B. II