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Möller den Beleidiger als Diffamanten (Verleumder) vor das zuständige Ge—
richt, das Flensburger Konsistorium. In der am 13. August 1711
gehaltenen Sitzung desselben ging es hart her. Der protokollführende Amts—
berwalter Melley scheute sich nicht, Göbel ins Gesicht zu sagen, er (Göbel) habe
mit seiner Predigt närrisch gehandelt; er (Meley) wisse bisher noch gar nicht,
was ein Pietiste sei; man müsse mit dem bracchio saeculari hinter ihn her
und ihm dergleichen Lärmmachen abgewöhnen. Der dann sich erhebende Streit
wischen den Flensburger Geistlichen (Möller, Gerckens, Diakt. an St. Nitolai,
und Hoyer) und dem hitzigen Göbel über die Wertung Speners — Göbel be—
zeichnete ihn als Urheber alles Unwesens, die Flensburger als einen verehrungs—
würdigen Kirchenvater — wurde so heftig, daß der Propst dem jungen Manne
mit Arrest drohte und schon den Konsistorialboten zu den beiden Bürgermeistern
senden wollte, um „die Wacht“ zu holen.
„Mit bebenden Händen“ beschwerte sich Göbel noch am selben Abend bei GS
Dassov, und dieser, statt, wie es sich gehört hätte, erst vom Propsten gründ—
lichen Bericht zu fordern, unternahm es, die Sache, die vom Konsistorium als
Beleidigungsklage, also als jurist isscche Streitfrage aufgezogen worden war,
als Lehrfrange aufzuziehen und sie so vor das Forum der Pröpstesynode
zu ziehen (zu „avociren“, hieß es in der damaligen Gerichtssprache).
Damit begann ein Rechtskampf zwischen dem Flensburger Kensistorium und
dem GS, bezw. seiner Pröpstesynode, in dessen Einzelheiten wir hier nicht ein—
gehen können“). Für Dassov handelte es sich darum, die Flensburger Geistlichen
pietistischer Unarten zu überführen und das Recht seiner Synode als Lehrgericht
zur Anerkennung zu bringen, für das Konsistorium dagegen darum, seine rechtlichen
Befugnisse zu wahren und zugleich seine Mitglieder gegen die Beschuldigung pie—
tistischer „Ketzereien““ zu schützen. Man muß sagen, daß Dassov einigermaßen
unklug vorging und den Bogen überspannte, die Flensburger dagegen ihren Ab—
wehrkampf nicht nur mit anerkennenswerter Energie, sondern auch mit grosier
Besonnenheit und Klugheit führten).
Schließlich blieb dem GSenichts anderes übrig, als sich an die höchste Instanz,
den König zu wenden. Dieser aber war derzeit auf einer Reise nach Italien
begriffen, und so dauerte es ziemlich lange, ehe die königliche Entscheidung erfolgte.
Erst am 23. September 1712 dekretierte König Friedrich IV.
folgendes:
1. Die Beschwerde Dassovs über den Widerstand des Kons. gegen einen Beschluß der
Synode und den damit bewiesenen Ungehorsam gegen eine vorgesetzte Obrigkeit wird zurück—
gewiesen: der Synodus sei keineswegs bemächtigt, die ordentlichen Consistoria der Amter
an der jehero erercirten Jurisdiction auf einige Weise zu beeinträchtigen, viel weniger die bei
denenselben rechtsanhängigen Diffamations- und Injnriensachen von dannen zu avociren. „So
approbiren wir allergnädigst, was unsere Glückstädtische Regierungs-cantzeley unterm 12. Oetober
an Dich reseribiret und wollen, daß Du nebst dem Synodo Dich in keine dergleichen Justiz—
sachen weiter melirest“.
) Sie füllen im St. A. einen starken Aktenband.
) Bemerkenswert ist, das Dassov es auch unternahm, den Rektor Möller vor sein
Glaͤubensgericht zu ziehen, dieser aber siegreich behauptete, als Schulrektor mit der Pröpstesynode
nichts zu schaffen zu haben.
iun) Man mierkt hier deutlich die Abneigung der Juristen gegen eine rein aus Klerikern be—
stebende Behörde, wie die Synode sie darstellt. Dieser Abneigung sind die sog. Synoden nicht
viel später zum Orpfer gefallen. Man muß aber auch sagen, daß sie in dem wohlgeordneten
Instanzenzug des Kirchenregiments (Amt und Propsteikonsistorium, Land und Oberkonsistorium,
König und Deutsche Kanzelei) ein störendes Element darstellten.