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B. 2, K. 3, 8 30. Die Geistlichkeit
für Holstein auf 56. Er meint, daß nicht wenige Capellaneien nach der Re—
formation „errichtet“ seien, namentlich um die Zeit um 1000.
Ich halte den Ausdruck „errichtet“ abgesehen von den wenigen nach der Re—
formation neu geschaffenen Kirchen (Altona, Glückstadt, Friedrichstadt usw.) für
alsch, mindestens mißverständlich. Denn im allgemeinen finden wir nach der Re
rormation Diakonate oder Capellaneien nur dort, wo auch schon vor ihr Capel—
laneien oder Vikariate bestanden haben, wo also vermöge frommer Stiftungen
die Mittel zur Unterhaltung solcher Nebenpriester vorhanden waren 'a). Wenn
man von „Errichtung“ einer Capellanei nach der Reformation spricht, so kann im
allgemeinen nur die Zusammenlegung mehrerer Vikariate zu einer Capellanei ge—
meint sein.
Jedenfalls sind die Kaplane keine Neuschöpfung der Reformation, sondern viel—
mehr die bestehen gebliebenen Reste der im Mittelalter unendlich viel zahlreicheren
dem Kirchherrn oder Rector untergeordneten Priesterschaft. Sie
gleichen auch darin ihren mittelalterlichen Vorgängern, daß sie bedeutend schlechter
als die Kirchherren besoldet waren: die meisten Diakonate sind bis in die Neuzeit
rechte Hungerstellen gewesen.
Die ererbte Unterordnung der Kaplane unter die Pastoren trat auch in den
umtlichen Funktionen zu Tage. In der Regel behielt der Pastor die
Taufen, die Kopulationen, die Begräbnisse, also das, was am meisten Gebühren
einbrachte, sich vor. Auch hatte er meistens die Hauptpredigt, während die Diakonen
die Neben (Nachmittags-, Wochen⸗)gottesdienste zu besorgen hatten. Ja, es scheint,
daß die Diakonen vielfach die Stellung reiner Hilfsprediger hatten, insofern
als es für sie gar keine feste Dienstordnung gab, sondern sie bei Behinderung des
Pastors und nach seinen speziellen Aufträgen diese oder jene Amtshandlung zuge—
wviesen bekamen. Insbesondere wurde von Anfang an den Kaplanen nicht nur der
Unterricht der Jugend im Katechismus, sondern auf dem Lande auch der gesamte
Schulunterricht an der Kirchspielschule zugewiesen. In Chri—
stians III Verordnung von 1544 ) wird der Kaplan — Schulhalter als ganz
selbstverständlich vorausgesetzt; aus Visitations- und anderen Berichten ergibt sich,
daß an vielen Stellen bis ins 17. Jahrhundert hinein die Schule auf dem Lande
tatsächlich von den Kaplanen verwaltelt worden ist.
Zu einem großen Teil war auf dem Lande neben der Schulhaltung auch der
Küsterdien st mit der Kaplanei verbunden, d. h. der Kaplan bezog die Ein—
künfte der Küsterpfrinde, nahm aber zur Verrichtung mancher Dienste, die er
in persona nicht leisten konnte oder mochte, irgend eine mehr oder weniger
qualifizierte Person an *).
*a) So erklärt sich die merkwürdige Erscheinung, daß wir in grossen, ausgedehnten Gemein—
den Holsteins keine Diakonate finden, dagegen sehr zahlreiche in den kleineren, aber wohl⸗
habenderen Marschgemeinden (Dithmarschen, Eiderstedt).
Rendtorff S. 26.
) Ja, es gab Gemeinden, in denen es weder Kaplan noch Küster gab, sondern der Passor
die Küstereieinkünfte genoñ, dafür aber auch die Dienste einschließtlich der Schulhaltung teils
in persona, teils per substilutum verrichtete. So z. B. in Ostenfeld, wo erst 1017
ein „ordentlicher Küster“ eingesekt wurde. Bis dahin war der Kirchengesang von einem musi—⸗
talischen „Hausmann“ (Bauern) geleitet worden (Lasi S. III, 119. Auch in Loit gab es noch
16031, in Havetoft noch 1040 weder Küster noch Schulmeister, „darum der Pastor selbst solche
Arbeit verrichten lassen“ (Fabr.). Jun Drel sdorf, wo der Kaplan den Küsterdienst hatte,
verrichtete um 1640 der Schulmeister von Bohmstedt das Singen in der Kirche. In Brek—
hum, wo um dieselbe Zeit schon eine besondere Küsterei mit Kirchspielsschule bestand, wurde,
weil der Kaplan äußerst kümmerlich besoldet war, 1643 ihm beides wieder zugelegt.