Standesrechte
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schatzung und Beschwerung“, d. h. allen Steuern und Abgaben be—
stätigt. Charakteristisch ist die Begründung dieser Freiheit: sie wird den Predigern
und anderen „Gelehrten“ (dem Lehrstande) zugestanden, J. damit das Wort Gottes
und die Tugenden (die öffentliche Moral) in Ehren gehalten werden, und 2. weil
das Amt solcher Leute dem „gemeinen Mann“ zum Besten dient.
Diese Steuerfreiheit ist den „Gelehrten““ während unserer Periode unange—
fochten erhalten geblieben; sie wurde auch auf das für den Niesibrauch der Geist—
lichen bestimmte Land ausgedehnt, welches in der Marsch auch von den Deichs
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legten Steuer frei, selbst dann, wenn es sich um eine Mietwohnung handelte ).
Ein wichtiges, aber freilich nicht allgemein anerkanntes (vergl. oben
S. 235) Privilegium für die Geistlichen war ferner, daß sie in Zivilprozeß—
sach ein vor einem gewöhnlichen bürgerlichen Gericht nicht als Angeklagte zu er—
scheinen brauchten. Die Apenrader KO von 1588 ecklärt: es sei für Kirchendiener
unwürdig, selber vor Ding und Recht zu stehen; wer sie „besprechen“ wolle, müsse
es vor einem Konsistorium tun. Das Konsistorium Meldorf beschlost 1070: kein
Zuhörer dürfe einen Prediger wegen Schulden oder anderer weltlicher Sachen vor
ein weltliches Gericht ziehen, er habe denn zuvor ein Moratorium von dem Herrn
Propsten an den Prediger gebracht und mit ihm vor dem Propsten „die Güte
oersucht““. Selbst für die Familienglieder der Geistlichen nahm man eine Aus
nahmestellung in Anspruch. So beschlost das eben genannte Konsistorium (Bull,
234), daß, wenn eines Predigers Frau in Sachen zeugen müsse, sie ihren Eid
nicht vor dem Kirchspielsvogte, sondern vor dem Propsten und dem Landvogte zu
leisten schuldig sein solle. Imn Strafprozeß (Halsgericht) hörte allerdings
diese Sonderstellung auf: wenn ein Geistlicher ein Kriminalverbrechen begangen
hatte, musite er vor dem weltlichen Gericht erscheinen, aber — das ist bezeichnend —
erst nachdem er von dem zuständigen Konsistorium „seines geistlichen Ordens ent—
kleidet'“ und also zu einem „Laien“ degradiert war. So wirkte weithin das ka—
nonische Recht in der neuen Kirche nach.
Wie in Constitutio de anno 1030 den adeligen Patronen die Juris-
diktion über ihre Prediger durchaus abgesprechen hatte, so wurde sie auch den
städtischen Magistraten, wenn diese sich ein Befehlsrecht über sie wie über ihre
anderen Untertanen anmaßten, kräftig aberkannt. So wurde auf Beschwerden
der Pastoren zu Oldesloe bei der Visitation 1093 anerkannt und auf dem
Rathause öffentlich verkündigt, daß der Rat über Prediger und Schulbediente
keine Jurisdiktion habe (Const. V, 110). Dasselbe wurde dem Oldesloer Ma—
gistrat auch 1701 wieder bei der Visitation „ernstlich eingebunden““, mit der Mo.
tivierung, daß er kein Patronatsrecht über die Kirche habe, ähnlich auch dem Rat
von Heiligenhafen (Bunl, 443 ff.). Aber auch dem Glückstädter Rat, der
ein Patronatsrecht hatte, wurde 1086 erklärt, daß er sich aller Eingriffe in das
zurch den Königlichen Propsten ausgeübte jus episcopale 3u enthalten habe:
das Patronatsrecht bedeute noch keine Jurisdiktion. Die amtliche Befehlsgewalt
über Prediger (und Lehrer) steht allein dem fürstlichen Summus episcopus zu
und wird durch Propst und Superintendent ausgeübt; nur diesen ist der Geistliche
in seinem amtlichen Tun verantwortlich. die örtlichen Obrigkeiten haben ihm amit
) So entschied das Gericht in jenem Fall in der Stadt Schleswig, wo der neue Pastor in
inem Mietshause wohnen musite, weil der alte Emeritus noch im Pastorate hauste (Bu II,
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