Full text: 1517 - 1721 (2)

—* 
§34. Die moralische Qualität der Geistlichen. 
Nachdem wir die äumserr ein Lebensbedingungen des durch die Reformation neu 
aufgerichteten ordo ecclesiasticus kennen gelernt haben, interessiert uns sonder— 
lich die Frage nach seiner innerlichen Qualität. Wie haben die Geist— 
lichen das hohe Amt, das ihnen gegeben war, ausgerichtet? Mit Eifer und Treue? 
Schon das ist eine Frage nach ihrer moralischen Qualität. Es kommt aber noch 
hinzu, daß bei keinem andern Stande so stark auf die persönliche sittliche Haltung 
der Amtsträger gesehen wurde wie bei dem geistlichen. Mit Recht und mit Un— 
recht. Mit Recht, insofern man von den „Dienern des Wortes“ verlangen konnte, 
daß sie das Wort, das sie predigten, im Leben bewährten. Mit Unrecht, insofern 
die „Laien“ von den Geistlichen vielfach eine andere, höhere sittliche Leistung ver 
langten als von sich selber. Auf alle Fülle aber ist die sittliche Haltung der Geist 
lichen sowohl für ihre Schätzung im allgemeinen Volksbewusitsein wie für ihre 
Wirksamkeit innerhalb des Volkes von ungemeiner Bedeutung gewesen. 
Wiesstand es während der Periode der Orthodoriemit 
der moralischen Qualität der Geistlichkeit unseres Lan 
des? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, da in dieser Zeit die Quellen 
noch ziemlich spärlich fliesen und überhaupt in solchen allgemeinen Fragen Fehl— 
urteile sehr leicht möglich sind. Mit aller Vorsicht und mit dem ernstesten Be— 
streben, zu einem gerechten und objektiven Urteil zu gelangen, gehe ich an diese 
Frage heran. 
I. Das Urteil der „Pfaffenfeindin“ A. O. Hoyers. 
Wenn wir über die moralische Qualität und das amtliche Verhalten der s. h. 
Geistlichkeit im 17. Jahrhundert ein zutreffendes Urteil gewinnen wollen, dürfen 
wir an dem Bilde, das A. O. Hoyers in ihren „Poéëmata“ (vergl. oben 
S. 298 ff.) von der Geistlichkeit unseres Landes entwirft, nicht vorübergehen— 
Zwar war diese hochbedeutende Frau sowohl durch ihre religiöse Richtung wie 
durch besondere Lebenserfahrungen zu einer Pfaffenfeindin geworden. Wir haben 
deshalb ihre Schilderungen von vornherein mit Vorsicht zu betrachten. Aber 
andererseits ist es sicher, daß feindliche Augen oft schärfer sehen als freundliche, 
und das Bild, das die Dichterin von den Geistlichen ihrer Zeit entwirft, ist so 
lebensnah und anschaulich, daß man gerade bei ihr am wenigsten von einem all— 
gemeinen, aus Theorie erwachsenen Urteil reden darf: was sie sagt, beruht sicher 
auf zutreffender eigener Beobachtung. Es fragt sich nur, wie weit man ihr Bild 
verallgemeinern darf. Auf alle Fälle sind ihre Schilderungen kultur- und literar— 
historisch von größtem Werte. Und sie selber verwahrt sich gegen die Annahme, 
daß sie die Landeskirche und die landeskirchliche Geistlichkeit aAlss solche an— 
greifen und schlecht machen wolle. Sie betont ausdrücklich, daß sie die wahrhaft 
fromme Minderheit unter den Pastoren durchaus anerkennt Poëmata S. 237): 
Die Frommen meng ich nicht hirin 
Darumb ich wohl entschüldigt bin: 
Denn alle, die nach Christi sinn / 
Einen Christlichen Wandel führen 
Die Lebr mit ihrem leben zieren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.