Amtliche Zeugnisse über sittliche Mängel
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schlagfertige Herren. Wir wollen es der Gesamtheit nicht zurechnen,
wenn einzelne sogar zu wirklichen Totschlägern, ja Mördern wurden '). Wie sehr
edoch der rohe, besinnungslose Gebrauch der Faust, in welchem sich derzeit der füh—
rende Stand, der Adel, besonders hervortat“), auch bei Geistlichen zu finden war,
beweist das Beispiel Johann Adolfis, gen. Neocorus, Kaplans in Büsum,
des berühmten Verfassers der Dithmarscher Chronik. Er hatte das Unglück, daß
sein von ihm mit dem Spaten bedrohter Knecht vor Schreck in den Sand fiel
und verstarb. Wenn es dabei tatsächlich ohne äußere Verletzungen abgegangen
ist (7), so zeigt das Ereignis auf alle Fälle, welche Angst der arme Junge vor der
schlagenden Hand seines Herren hatte. Drei weitere „schlagende“ Beispiele habe
ich in unsern BuM 9, 3782 82 erzählt.
Die akademische Bildung hat sicher das Selbstgefühl der Geistlichen gehoben.
Das berechtigte Standesbewußtsein steigerte sich jedoch vielfach zu priester-
licher Ueberhebung und unangemessener Streitbarkeit. Auf
Rang und äußere Ehrenbezeigung wurde stark gehalten: je stärker im 17. Jahr—
hundert der Stand der Juristen vordrang, um so eifriger war die Priesterschaft
darauf aus, den in katholischer Zeit ihr allgemein gegönnten Vorrang in der
Gesellschaft zu behaupten. Ihr Kampf war freilich vergeblich: im 18. Jahr—
hundert steht der Vorrang der akademisch gebildeten Beamten vor den Geist—
lichen fest, eine Folge der durch die Reformation eingeleiteten Sätularisierung
des corpus Christianum. Solange die priesterliche Ueberhebung sich nur gegen
das „gemeine Volk“ wandte, wurde nur in besonderen Ausnahmefällen dagegen
ringeschritten; wenn sie sich jedoch gegen hochgestellte Junker kehrte, war man
schnell mit Strafen zur Hand.
Pastor Gärtner in Rieseby wurde wegen verschiedener Beleidigungen durch Schriften
und Predigt vor das Landkonsistorium gezogen und zunächst zur Abbitte vor dem Konsistorium
»erurteilt. Als er endlich aber auch seinen Patron Burchard von Ahlefeld angriff, ward er
nuf ein Jahr vom Amte suspendiert (BunJ, 342 ff.). — Der Diaconus Müller in Sö—
nup wurde wegen fortgesetzter unbegründeter Schmähung des Herrn Wilhelm von Ahlefeld
1008 vom Oberkonsistorialgericht zu Glückstadt „seines priesterlichen Ordens entkleidet und zu
dem Ende seinen priesterlichen Habit alsofort abzulegen gehalten, darauf dem Judicio saecu-
lari zu einer wohlverdienten Bestrasung übergeben“ (Bu J, 518 ff.). — Auf Klage des Herrn
Wulf von Brocktorff auf Wensien wuͤrde 1704 der Pastor zu War der, Mag. Johann
Siegmund Starck vom Segeberger Konsistorium zu einer halbjährigen Suspension vom
Amte verurteilt, und zwar wegen „unrechtmäsßiger Verweigerung der Proklamationen und
priesterlichen Copulationen, auch daraus erwachsenen einigen Unheils — eine abgewiesene Braut
war aus Bekümmernis hernach gestorben — ferner wegen verweigerter Admittierung zum
Beichtstuhl und Abendmahl, dazu wegen seiner vielen Injurien gegen den Herrn von Brock
torff, nicht in gebührlicher Ordnung geführten Strafamtes, Immiscierung in weltliche Ge—
ichtssachen und Steigerung der Aceidentien.“
Priesterliche Angriffe auf hochgestellte Personen waren doch nur Ausnahmen
und werden, da sie immerhin von einem gewissen Mannesmut zengen, von uns
dielleicht milder als von den damaligen Kirchenbehörden beurteilt werden. Die
Regel ward je länger, desto mehr eine auffällige Devotiongegen die
Hochstehenden, wie sie uns besonders in den von Schmeicheleien kriefenden
Leichenpredigten der Zeit und in einer oft unwürdigen Haltung bei Bewerbungen
) „15600 wurde ein Kaplan in Eggebek hingerichtet; Laurenz Harmen in Sieverstedt war
600 ein Mordbrenner; 1027 erstach ein Geistlicher in Bröns seinen Amtsbruder und floh
ins Elend; 1011 wurde Jürgen Lund in Hellewatt wegen Mordes geköpft“ (Hed. 130 f.).
*) Vagl. besonders Asmus Bremers Chronicon Chilionense tragico-curiosum (Kiel
9160.