Amtliche Zeugnisse über sittliche Mängel
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betrifft, so trit uns neben einer äußerlichen, rein gesetzmässigen Auffassung vom
geistlichen Amte, welche fast allgemein zu beobachten ist und ohne Frage in der
Gesamtauffassung der Orthodoxie vom Christentum zum Teil ihre Erklärung
findet, in vielen Fällen eine starke Leichtfertigkeit und Trägheit
entgegen: viele Prediger waren geneigt, ihre amtlichen Verpflichtungen möglichst
leicht und obenhin zu absolvieren.
Welch eine Leichtfertigkeit tritt uns z. B. in jenem viel belachten und als
Kulturdenkmal in der Tat hervorragenden Briefe des Pastors von Loit und
Taarstedt?) an seinen Superintendenten (1578) ) entgegen:
Darum mot ick korte Predigen dohn; 2mal de 10 Gebade is genog; wenn de Weg (nach
Taarstedt) nich so lange wäre, wolde ick den Gloven unde de Sacramenten dartho seggen, averst
se hebben mi de 10 Gebade noch nimmer bethalet; wat scholde ick thom Gloven kamen? Doch
twischen Mitfasten unde Unse lewe Fruwen will ick den Catechismum in de Hast averlopen
unde alle Sünde verbeden“).
Oder wenn der allzu jung ins Amt gekommene Pastor Plessius in Kropp
1593 in einem feierlichen Reverse versprechen musi, seine Predigten nicht aus dem
Aermel zu schütteln (Const. V, 82). Oder wenn der Pastor zu Stellan seine
von der Arbeit in die Beichte kommenden Bauern am Sonnabend nicht in den
Beichtstuhl kommen läsit, weil ihm ihr Düngergeruch unangenehm ist, und sie
deshalb in corporeé schnell vor dem Altar absolviert (Fabr.)! Welche Mühe,
welche scharfen Mandate hat es gekostet, ehe die Mehrzahl der Geistlichen zu regel
mäßigen Kinderkatechesen bereii waren! Auch das im 17. Jahrhundert die
Kaplane auf dem Lande überall die ihnen amtlich obliegende Haltung der Kirch—
pielschule mit Gewalt los zu werden strebten, zeugt doch nicht nur von einer höheren
Auffassung von ihrer Amtsstellung, sondern ebensogut von einer bequemen Scheu
vor der Mühsal des Schuldienstes. Im Gegensatz gegen den als treu und fleißig
gelobten Pastor zu Preetz, Herrn Tycho (von Jessen) schildert Fabr. den Dia—
tonus, Herrn Thomas folgendermaßen:
Man berichtet ... allerler, wie H. Thomas mit dem Beichtsitzen verfahren, wan Pastor 20,
er interim wohl 00, was dem gemeinen hauffen lieb ist, absolviren, die leute an sich locken,
zu zeiten eine predigt vff den Sontag nachmittag, wenn in selbige woche ein fest einfelt, vnter—
lassen, bisweilen Kranckheit simuliren solle u. dal.
Mit solcher Bequemlichkeit hängt es zusammen, daß nicht wenige Prediger eine
störrische Eigenwilligkeit zeigten und auch den berechtigtsten Weisungen
eines freundlichen und gütigen Vorgesetzten ihr Ohr verschlossen. „Man sage
aber, was man sagt, so thut doch ein jeder, was er will“, sagt Fabr. einmal.
4. Abschließendes Urteil.
Alle so geschilderten Untugenden berechtigen uns an und für sich natürlich noch
nicht, über die Gesamtheit der Prediger unseres Landes ein absprechendes
moralisches Urteil zu fällen. Es aab natürlich auch in der orthodoren Periode Pre—
) Später wurde Loit mit Süderbrarup und Taarstedt mit Brodersbn vereinigt.
2) Zu lesen Dan. Bibl. 5, 200 jj. Pont. III, 400 j. Tboluck, das kirchliche Leben
des 17. Ih. l, S. 111f.
5) Sebr richtig bemerkt Pont., daß dieser Brief den Genium war nicht der ganzen
Priestershhaft, aber doch in Wahrheit sehr vieler der Zeit an den Tag lege, mithin eine
Hauptursache zeige, warum das Evangelium in 200 Jahren und weit darüber an den meisten
Orten so wenig gewuchert habe.
Feddersen, Kirchengeschichte, B. II.