Full text: 1517 - 1721 (2)

Abschließendes Urteil über die moralische Qualität 435 
solchen Leuten keine wahrhaft lebendige Kirche gebaut werden. Was aber mit die— 
sem Durchschnitt gebaut werden konnte und tatsächlich gebaut worden ist, das ist 
die orthodoxe Gesetzeskirche, in der die Lehre rein erhalten und dem 
Kirchenvolke eine äusterliche Frömmigkeit und eine gesetzliche Sittlichkeit anerzogen 
werden konnte). 
Immierhin: die Reformation des geistlichen Standes, wie sie von der „leben⸗ 
digen Orthodoxie““ und dem Pietismus gefordert wurde, war, wie für die ganze 
lutherische Kirche, so auch für unser Land eine dringende Notwendigkeit. Und diese 
Reformation ist auch gekommen. Wenn der Pietismus auf der einen Seite das 
geistliche Amt als solches in seinem Werte herabgesetzt hat, so hat er doch 
ohne Frage die moralische Qualität der einzehnen Amtsträger gehoben 
und innerhalb der landeskirchlichen Geistlichkeit einen neuen Geist der Gewissen— 
haftigkeit und des Eifers um Gottes Reich erzeugt. Man hat von der unserer 
Periode nachfolgenden Zeit, in der sich die fromme Orthodoxie mit dem Pietismus 
zu einem segensreichen Bunde vereinigte, durchaus den Eindruck, dasi, wie groß 
auch die Mängel waren und blieben, der Pastorenstand besser als vorher war und 
deshalb auch besser als der frühere imstande war, das religiöse Leben der Ge— 
meinden zu vertiefen und zu beleben. 
5. Die Pastorenfamilie. 
Die Aufhebung des priesterlichen Zölibats, welche die Reformation mit sich 
brachte, hat den geistlichen Stand ohne Frage sittlich gehoben, insofern er von der 
Versuchung zu außerehelichem Verkehr befreit wurde. Sie hat aber auch die sitt⸗ 
liche Forderung, die an den Stand gestellt wurde, erschwert. Denn der verheiratete 
Priester hatte nicht nur wie sein katholischer Vorgänger auf seine eigene, per— 
sönliche Lebenshaltung zu achten, sondern auch auf die seiner Familie. Nicht nur 
eigene Mängel, sondern auch die Sünden seiner Familie waren geeignet, sein 
Ansehen zu untergraben und seine Amtswirksamkeit zu erschweren. Er war daher 
amtlich verpflichtet, auch mit Weib, Kind und Gesind der Gemeinde ein Vorbild 
christlichen Wandels zu geben. Im allgemeinen scheint die Erziehungsaufgabe, 
welche dem Geistlichen damit gestellt worden war, in unserm Lande recht gut ge⸗ 
lungen zu sein; wenigstens habe ich in dieser Beziehung nicht viel Klagen ge— 
funden. 
Vei der Neigung des weiblichen Geschlechts zu Putz und zierlicher Kleidung war es dem 
pastoralen Hausherrn naturgemäß besonders schwer, selbst bei gutem Willen bei Frau, Töchtern 
und Mägden allezeit „ehrbare“ Kleidunqg durchzusetzen. Schon der Reformator Husums, Her— 
mann Tast, der seine bisherige Köchin Gardrut geheiratet hatte, mußte sich von seinem 
kryptoanabaptistischen Kaplan Johann von Linden schelten lassen, daß seine Töchter sich zu 
zierlich und modern kleideten. — Eine unartige „Pastorsche““ war die Gattin des Pastors 
Plochius in Lo it (Angeln), von der Fabr. 1634 berichtet, daß sie, wenn sie in die Kirche 
und an den Voigtischen Stuhl, mit allerhand „fremden Geberden“ und unpassenden Worten 
„im Vorbeigehen sich vermerken lies“, um die Hardesvögtin zu ärgern. Der Pastor mußte 
„mit handgegebener Treue versprechen, seine Frau an die Gebühr zu erinnern“. — Schlimmer 
war es, wenn, was hin und wieder geschah, eine Pastorstochter in Fall kam. Eine traurige 
jeschichte davon erzählt Fabr. 1039: Eine Tochter des alten Pastors in Grube hatte sich, 
7) Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Resultat, zu dem ich für unser Land gelange, 
durchaus übereinstimmt mit dem, das etwa Tholuck und Drews (der evang. Geistliche in der 
deutschen Vergangenheit, 1905) für einen weiteren Kreis, nämlich das ganze lutherische Deutsch 
land seststellen.
	        
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