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Unser „2Borf Gottes"
^>eute mag man darüber lächeln, aber ich gebe es trotz
dem preis, weil es mehr als eine Schrulle bedeutet und
weil es überhaupt manchen, der solch ein Schauspieler
leben jener Zeit nur nach der äußeren Unbürgerlichkeit
einschätzen würde, doch vor ein kleines Problem stellt.
Bevor Vater das Haus verließ, um eine neue Nolle zu
spielen, suchte er noch einmal sein Studierzimmer auf, als
hätte er etwas vergessen, nach zwei, drei Minuten kam er
dann ernst, doch mit seinem gütigen Lächeln, wie verklärt
heraus, winkte uns zu und ging. Die paar Minuten der
Sammlung vor der Ausübung seiner Kunst gehörcen immer
einer Aussprache mit seinem Gott, der ihm eine Art per
sönlicher Freund schien. Vater war ein tief religiöser
Mensch. Einen Zwiespalt, daß er hinging, die Welt zu
erheitern in irgendeinem Lustspiel, empfand er bei seinem
Gebet nicht. Er konnte einen mit seinen blaugrauen Augen
so wundervoll klar ansehen, wenn er sagte: „Gott ist fröh
lich - der Teufel ist traurig."
Seltsam: soweit ich mich zurückerinnere, haben wir nur
ein einziges Mal einen Logiergast gehabt, - und das war
ein Dorfpfarrer. Freilich war die Brücke zu ihm nicht durch
Vaters Bühnentätigkeit geschlagen. Pastor Förster aus T.
bei Leipzig hatte vielmehr keine Ahnung davon, daß der
Jugendschriftsteller Oskar Höcker, den er sehr schätzte, in
seinem zweiten Beruf dem Theater angehörte. Au einem
Sonntagmorgen erhielt Vater den Brief von ihm, der die
Freundschaft anbahnte.
Pastor Förster hatte seine Frau verloren; seine beiden
Kinder konnten ihm noch nicht den geistigen Austausch
bieten, den er brauchte. Die Aussprache mit Vater war