B. 2, K. 4, 8 30. Die Predigt
Polemisieren, sei es das Behagen am Schelten der Gemeindeglieder, sei es die
Freude an seiner besonderen Kunst oder Gelehrsamkeit. Der Prediger soll sich
veder als Rhetor noch als Prophet fühlen, sondern ganz objektiv als Bringer und
Künder der feststehenden geoffenbarten Wahrheit und soll diese in einfachster,
möglichst feststehender Form, also ohne sich vor Wiederholung zu scheuen, ver—
künden. Damit ist ein Predigerideal aufgestellt, das manchen „Modernen“ nicht
gefällt, das aber in einer Volkskirche mit fester Lehre durchaus gut und richtig ist.
Im einzelnen ist von Wichtigkeit noch, daß die Predigt nicht länger als eine
Stunde dauern) und im sonn- und feiertäglichen Hauptgottesdienst stets nur die
althergebrachten Evangelientexte behandelt werden sollen; im Nachmittagsgottes—
dienst sollen die Episteln ausgelegt werden; nur wenn an Wochentagen gepredigt
vird, sind freie Terte erlaubt, doch nur aus „leichten und nützlichen Büchern“
und soweit sie zur „Besserung und zum gemeinen Nutzen“ zu verwenden sind. Also
Verbot hergesuchter, dunkler, nur allegorisch verwertbarer Texte.
Es waren sachgemäße und gute Vorschriften, welche die KO für die Predigt
gab. Wir fragen jetzt: Wie wurden sie erfüllt? Wie hat sich während
der Periodeder Orthodoxieinunserm Landedie Predigt
datsaächlich gestaltet?
2. Die Predigt im Reformationsjahrhundert.
Wie im Reformationsjahrhundert tatsächlich gepredigt wurde, darüber liegen
uins aus der eigentlichen Reformationszeit so gut wie gar keine, aus der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts sehr wenig Zeugnisse vor. Wir sind daher vielfach auf
Vermutungen angewiesen.
Mit aller Wahrscheinlichkeit darf man vermuten, daß es bei der geringen Bil⸗
dung, welcher noch viele Jahrzehnte nach der Reformation namentlich die Mehr—
Jahl der „Landpriester“ (parochi rurales) sich erfreute, mit der Predigtfähig—
deit im allgemeinen recht kümmerlich bestellt war. Eine große Zahl „ungeschickter
Kirchherrn“ wird von der freundlichen Erlaubnis der KO, aus Postillen „von
Wort zu Wort“ ihren Kirchspielsleuten vorzulesen, solange, bis sie selbständig zu
oredigen gelernt hätten ( KO S. 34), gern Gebrauch gemacht und sich schwerlich
um die Weisung, diese „liebevolle Nachsicht“ (charitatis indulgentiam,
Ord.) nicht als Deckel ihrer Faulheit (ignaviae) zu gebrauchen, gekümmert
haben. In der Tat war ja auch die Vorlesung einer guten Predigt fremder Her—
funft besser als die Darbietung eines kümmerlichen eigenen Produkts. So be—
amen die Bauern bestes Predigtqut zu hören: die deutschen Luthers Kirchen—
1) Diese Forderung ist noch im Jahre 1035 den Predigern durch eine Verordnung Kg.
Thristians IV. eingeschärft worden. Hier heißt es: Die Predigten sollen kurz und gut sein,
damit sie nicht dem gemeinen Mann, der auf einmal nicht viel fassen und behalten kann, zum
Verdruß und weniger Erbauung gereichen. Wer länger als eine Stunde seinen Sermon
tontinuiren würde, soll mit einer Mulkt von etwa 4 oder 0 Schilling beleget werden. — Zum
Schutz gegen überlange Predigten wurden vielfach an den Kanzeln „Sanduhren“ an
zebracht, welche der Prediger beim Beginn seines „Sermons“ richtig einzustellen hatte. In
der Drelsdorfer Kirche war in meiner Jugendzeit noch solche Sanduhr vorhanden: sie bestand
in einem dovrelten Glastrichter, dessen eine Hälfte genau so viel Sand enthielt, daß er inner⸗
halb einer Stunde durch die enge Oeffnung in die andere Hälfte rann. Zu neuem Gebrauch
mußte man das Glas umdrehen. So konnten die „Zuhörer“ je nachdem mit Vergnügen oder
Unbehagen ablesen, wie während der Predigt ihres Pastors „die Zeit verrann“. Wenn ich
naicht irre, war neben dem Stunden- auch ein Viertelstundenglas.