1759
»B. 2, K. 4, 8 30. Die Predigt
Zeit, da die Bibeln teuer waren und die wenigsten sie zu lesen verstanden, geeignet
war, die biblischen Gedanken den Leuten nahe zu bringen.
Daß es jedoch auch in dieser Zeit Prediger gab, welche in origineller und
gesund⸗volkstümlicher Art zu predigen verstanden, zeigen z. B. die in edlem Nieder-
deutsch gehaltenen Zehn Predigten Jochim Bolthes „Van dürer tydt“
(Hamburg 15909)). Aehnlich lebendig und originell werden, nach ihren literari—
schen Leistungen zu rechnen, der „Hexenpastor““ Samuel Meiger in Mortorf und
der Dichter des „Düdeschen Schlömer“, P. Stricker in Grube, gepredigt haben.
So mag es im 16. Jahrhundert noch manche gute Prediger gegeben haben,
die wir nicht kennen. Das widerstreitet indessen nicht der Feststeilung, daß die
Durchschnittsleistungen recht gering waren.
3. Die Predigt im 17. Jahrhundert.
Das 17. Jahrhundert unterscheidet sich vom 16. insofern, als nunmehr alle
Prediger akademische Bildung genossen hatten.
Das bedeutet nicht, daß nun die Prediger unseres Landes auch nur in der
Mehrzahl wirklich gut gebildete und geistig hochstehende Leute geworden wären.
Viele hatten die Akademie nur sehr kurze Zeit besucht und wenig Gutes auf ihr
gelernt. Der Bildungsunterschied zwischen Stadt- und Landpredigern hat noch
nicht aufgehört.
So dürfen wir den Anklagen A. O. Hoyers (S. 424) schon glauben und
können ruhig annehmen, daß bei vielen Landpredigern der Postillengebrauch auch
im 17. Jahrhundert noch angehalten hat, wohl weniger in dem Sinne, daß man
die Postillen „von Wort zu Wort“ vorlas, aber doch so, daß man sich aus ge⸗
druckten Predigtbüchern eine genügende Zahl von Predigten zusammenstellte, die
man, da ja auf dem Lande, wo nur ein Prediger war, stets nur über die Evan—
gelien zu predigen war, Jahr um Jahr wieder gebrauchen konnte.
Andere Landprediger bemühten sich wohl, „den Bauern auf's Maul zu schauen“
und möglichst populär und derb zu predigen. Daß man dabei verkehrt kommen
konnte, indem die Derbheit zur Roheit ausartete, zeigt eine uns aufbehaltene Pre—
digt des Nordhackstedter Pastors Jürgen Johannusen (um 1628)).
Bei denen aber, welche die akademische Bildung voll in sich aufgenommen
haben, bemerken wir im 17. Jahrhundert eine neue Predigtmethode,
welche nicht unwesentlich von der des 16. Jahrhunderts abweicht: man verlästt die
„Lokalmethode“; die bloße Ansammlung von Bibelsprüchen hört auf; statt bloßer
„Auslegung“ der Textesworte bildet man thematische Predigten mit genauer
Disposition und wendet alle Künste der damals üblichen und auf den Aka—
demien gelehrten Rhetorik auf, um das Wort Gottes den Leuten interessant zu
machen. Das hat einerseits verbessernd gewirkt: die Predigten werden farbenreicher
und — jedenfalls für die Gebildeten der Zeit — tatsächlich interessanter. An—
dererseits führt die akademische Gelehrsamkeit, wenn sie nicht durch wahrhaftige
Frömmigkeit und guten Geschmack in Schranken gehalten wird, zu merkwürdigen
Ausartungen. Man brilliert und kokettiert förmlich mit seiner Gelehrsamkeit durch
reichliche Anführungen aus dem antiken Schrifttum und den Kirchenvätern, ja
9) Jochim Bolthe, geb. 1558 zu Hamburg, war Pastor zu Uetersen (f 1029). Proben aus
seinen Predigten hat H. Schröder in PrBer 1825, S. 2601-270, gegeben.
) Wgl. H. Jellinghaus, Ein schleswiger Sackmann, 2 12 (1882) S. 1603 ff.