B. 2, K. 4, 8 37. Musik. Teil des Gottesdienstes
lung von autoritativer Bedeutung bekommen, nämlich das schon erwähnte „Enchi—
ridion““ Luthers “). Dessen plattdeutsche Bearbeitungen, sowohl die Wittenberger
Ausgabe, wie das Hamburger und Lübecker Gesangbuch (vergl. dazu Witt S. 202),
auch wohl das Rostocker werden lange Zeit in unserm Lande für die Auswahl und
die Textgestaltung der von der Gemeinde im Gottesdienst gesungenen Lieder ge—
braucht worden sein. Aber wir haben uns die Sache nicht so zu denken, daß diese
Sammlungen auch nur zu einem kleinen Teile in den Händen des Kirchenvolkes
waren — es war schon viel, wenn in jeder Landgemeinde der Pastor und der
Küster ein solches Buch in Händen hatten, um daraus den „Zuhörern“ den Text
der Gesänge mündlich beizubringen. Der Privatbesitz eines Gesangbuchs ist sicher
auch noch im 17. Jahrhundert das Vorrecht besser begüterter und gebildeter Kreise
gewesen. Die zahlreichen Dichter geistlicher Lieder, welche das 17. Jahrhundert
hervorbrachte, haben ihre Poesien als private Erbauungsbücher und zum Ge—
brauche für Hausandachten in gebildeten Familien herausgegeben ').
Das erste s.eh. Gesangbuch, das zwar nicht kirchenregimentlich eingeführt worden
ist, aber doch offenbar weite Verbreitung und autoritative Bedeutung gewonnen
hat, ist die als 2. Teil dem Waltherschen Kercken-Handböckschen
vergl. oben S. 445) eingefügte Liedersammlung (1035). Sie enthält 92 nieder—
deutsche und 19 lateinische Lieder, darunter 32 allein von Luther, im übrigen fast
nur solche aus dem 10. Jahrhundert, und zwar dessen erster Hälfte. Es wollte ja
auch lediglich „De Vormehmeste vnd Gebrückligeste Kerckengesänge“ bringen, ist
'omit ein guter Zeuge dessen, was bis 1035 in unserm Lande wirklich gesungen
wurde.
Von welcher autoritativen Bedeutung das Walthersche Gesangbuch war, zeigt
seine hochdeutsche Bearbeitung, das ebenfalls nicht offiziell angeordnete, aber doch
als maßgebend gebrauchte „Gesangbuch““,, das den ersten Teil des Oleariusschen
„Schleswig-vnd Holsteinischen Kirchenbuchs“ bildet (vergl.
oben S. 445). „Es fehlt von den bei Walther sich findenden Liedern keines ...
außerdem sind 32 hinzugekommen, bemerkenswerter Weise fast sämtlich aus dem
160. Jahrhundert, z. T. sogar aus seiner ersten Hälfte.“ Bedenkt man die weite
Verbreitung und die autoritative Stellung, welche dies erste hochdeutsche Kirchen—
buch so lange in unserm Lande gehabt hat, so kommt man zu der Vorstellung, daß
das Gros unseres Kirchenvolkes von der schönen Fülle der geistlichen Lieder—
dichtung, welche seit 1080 in die Gesanabücher einströmte, lange Zeit hindurch
wenig gespürt hat.
Das erste Gesangbuch Schleswig-Holsteins im eigentlichen Sinne ist das
Plönische Gesangbuch“'), das, seit 1674 in immer neuen Auflagen
(letzte wohl 17601) erschienen, dem kleinen, 1701 an die Königliche Linie zurück—
gefallene Herzogtum Plön (vergl. oben S. 138) als wirklich allgemein einge—
führtes und gebrauchtes Gesangbuch gedient hat“). Hier haben wir endlich ein für
die damalige Zeit „modernes“ Gesangbuch: es bietet unter seinen 442 Liedern
(2. Auflage 1670) eine große Anzahl „neuer, geistreicher Lieder““ dar, darunter
) Vgl. oben S. 403.
10) So auch unser Johann Rist (Sabbahtische Seelenlust, Lüneburg 16051; Haußmusik oder
Musikalische Andachten, ebda. 1054 u. a.).
uu) Titel s. Brederek S. 4.
122) Aber auch in der Propstei Segeberg, vielleicht auch anderswo, ist es „eingeführt“
worden (Brederek S. 15).