Full text: 1517 - 1721 (2)

472 B. 2, K. 4, 8 37. Musik. Teil des Gottesdienstes 
war er eben ein Kind seiner Zeit und teilte deren Schwächen, eine unvorein— 
zgenommene Würdigung kann ihm jedoch den Ruhm wirklicher dichterischer Qua— 
litäten nicht versagen. Das starke lyrische Talent, das die Gedichte seiner Jugend— 
zeit beweisen, hat sich später durch seine Vielschreiberei und seine sklavische Be— 
folgung der Opitzschen „Regeln“ verloren. Dagegen ist die hervorragende Be— 
deutung, welche er als dramatischer Dichter gehabt hat, in neuerer Zeit erkannt 
und gebührend herausgestellt worden “). 
Rists Bedeutung als Kirchenliederdichter geht schon daraus hervor, daß auch 
die neuesten Gesangbücher eine nicht geringe Auswahl seiner Dichtungen bringen, 
so das neue SH Gesangbuch 11. Unter den fast 700 Liedern, welche Rists un— 
erschöpfliche Produktivität geschaffen hat, findet sich natürlich unendlich viel 
Spreu. Daß aber viel mehr als elf des Andenkens und Singens in der evan— 
gelischen Gemeinde würdig wären, lehrt die schöne, 102 Lieder enthaltende Aus— 
wahl, welche Hansen gibt. Eine edle Sprache, Kraft und Fülle des Ausdrucks, 
Korrektheit in Versmaß und Reim zeichnen seine besten Lieder aus, und ihr 
Ideengehalt ist aus der Fülle evangelischer Heilserkenntnis geschöpft. Die große 
Weltfreudigkeit, welche ihm persönlich eigen war, und der enge Verkehr mit der 
großen „Gesellschaft“, in welche seine Berühmtheit ihn hineinzog, legen die Frage 
nahe, wie weit sein volltönendes christliches Bekenntnis auf wirklich persönlicher 
Empfindung, wie weit es auf bloßer Anempfindung beruht. Ich habe von dem 
Wedeler Pastor doch den Eindruck eines großen sittlichen Ernstes und einer auf— 
richtigen christlichen Frömmigkeit. Seiner einfachen Gemeinde scheint er in Treue 
gedient zu haben. Bezeugt ist, daß er seine reichen medizinischen Kenntnisse zum 
Heile seiner Bauern verwandt hat. Die Nöte der Schwedenkriege von 1043f. 
und 1057 f. hat er mit seiner Gemeinde reichlich erfahren und ist durch sie nur 
immer tiefer in die Erkenntnis von der Eitelkeit aller Güter dieser Erde und 
dem einen, das not ist, hineingeführt worden ). 
Seiner kirchlichen Stellung nach gehörte Rist im Gegensatz zu seinem Zeit— 
genossen Paul Gerhardt zu den „Synkretisten““), doch nur in dem Sinne, daß 
er den theologischen Streit verabscheute, ohne jedoch für seine Person von der 
lutherischen Orthodoxie in irgend einem Punkte abzuweichen *. 
Universitäten Doctores, Licentiatos Magistros, Baccalaureos zu „ereieren“ — ein 
Privileg, dessen sich auch Rist in mehreren Faͤllen bedient hat (Hansen S. 176 ff ). Zu seinen 
Verehrern gehörten auch die weltlichen und kirchlichen Großen unseres Landes (Ka. Chri⸗ 
stian IV., Kg. Friedrich III. GGSS Klotz, Hudemann, Reinboth). 
22) Vgl. bes. Bünte, sowie Otto Heins, Johann Rist und das niederdeutsche Drama 
des 17. Jahrhunderts (Marburg 1930). In Betracht kommen namentlich: Das Friede— 
wünschende Teutschland (1647) und Das Friedejauchzende Teutschland (1053), beide auch heute 
noch lesenswert. Für die Sprach- und Kulturgeschichte unseres Landes sind die Zwischenspiele, 
deren lomische Personen von holsteinischen Bauern gestellt werden, von hervorragender Be⸗ 
deutung. Neuausgabe beider Stücke von Schletterer (Augsburg 1864). 
0) Vgl. die schönen, kurz vor seinem Ende verfaßten Lieder bei Hanfien S. 173ff. 
*7) Diese Stellungnahme, aber sicher auch der Neid anf seine Erfolge und Ehren scheinen 
die mancherlei Anfeindungen aus dem nächsten Kollegenkreise, über die er klagt, verurfacht zu 
haben. 
») Bemerkenswert ist, daß die Wendung in seinem Passionsliede O Traurigkeit, o Herze⸗ 
seid: Gott selbst lbiegt tot schon bei gewissen Zeitgenossen Anstoß erregt hat, so daß 
man sie in Gesangbüchern abänderte (auch in unserm Gesangbuch Nr. 43), aber von guten 
Lutheranern, wie Klotz, Carpzov, Mayer, Kortholt u. a. als rechtgläubig und der Lehre von 
der Communicatio idiomatum entsprechend ausdrücklich in Schutz genommen worden ist 
(ogl. Moller S. 517).
	        
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