Johann Rist
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Zusammenfassend dürfen wir sagen, daß Johann Rist trotz mancher mensch—
lichen Schwächen ein Mann gewesen ist, dessen wir als seine Landsleute uns nicht
zu schämen brauchen, dessen Andenken wir vielmehr in guten Ehren zu halten alle
Ursache haben.
Der andere s.h. Kirchenliederdichter aus unserer Periode, dessen Schöpfungen
seine Zeit überdauert haben, ist Laurentius Laurentii C(orenz Lo—
renzen)). Er wurde am 8. Juni 16000 in Husum als Sohn eines angesehenen
Bürgers geboren. Der Vater war ein großer Liebhaber der Musik; von ihm
mögen seine beiden Söhne“) ihr musikalisches Talent ererbt haben. In Husum
und Lüneburg vorgebildet, studierte Laurentius in Rostock und Kiel — hier wird
er bei dem berühmten Kantor Wockenfuß“) Gelegenheit zur weiteren musikalischen
Ausbildung gehabt haben. 1084 erhielt er die Stellung eines Kantors an der
Domschule und „Musikdirektors“ am Dom zu Bremen (beides derzeit als zum
Erzbistum Bremen gehörig unter schwedischer Herrschaft). Als Lehrer scheint er
nicht viel geleistet zu haben, dagegen hat er sich als Leiter der Kirchenmusik am
Dom nicht geringe Verdienste erworben. Ueber den 1090 von ihm gegründeten
Domchor hat der lutherische Superintendent berichtet, daß er „feine und rara
musikalische Stücke zu grosem Vergnügen der gantzen Gemeinde, auch der frömbd
ankommenden“ liefere. Wie so manche Künstler war er kein guter Haushalter; er
geriet in tiefe wirtschaftliche Schwierigkeiten und aus Kummer darüber in den
Trunk. Im März 1722 wurde er mit 100 Th. Pension zwangsweise in den
Ruhestand versetzt und starb bald hernach, 29. Mai 1722.
Unter den im ganzen etwa 150 von ihm gedichteten geistlichen Liedern“) ist
das meiste „Mittelgut und auch das nicht einmal“ (Hansen), aber seine Zeit
schätzte den bescheidenen, anspruchslosen, frommen Dichter. Krafft rühmt seine
Lieder als „sehr erbaulich und wohl gesetzt““. A. Knapp (Liederschatz S. 1315)
gibt manchen das Lob, daß sie „vorzüglich, durch Salbung und Einfalt ausge—
zeichnet““ seien (er hat 11 abgedruckt). In der Tat gehören seine im neuen SH
Gesangbuch wiedergegebenen Lieder (Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin;
Ermuntert euch, ihr Frommen; Warum willst du doch für morgen), ferner die
in unserm fruͤheren Gesangbuch enthaltenen: Du wesentliches Wort; Ihr armen
Sürnder, kommt zu Hauf u. a. zu den unvergänglichen Perlen der evangelischen
Liederdichtung. Seiner Stellung nach kann man Laurentii ebenso gut zu den Mor—
pietisten wie zur frommen Orthodorie rechnen.
4. Chor- und Instrumentalmusik im Gottesdienst.“)
Das Jahr 1524, das der jungen Kirche Luthers ein erstes Liederbuch für die
Gemeinde schenkte, brachte durch die Arbeit Luthers und des Torgauer Kantors
n) Ueber Laurentii liegt mir eine Arbeit von P. i. R. Heinrich Hansen hand—
schriftlich vor, die ich mit Dank benutzt habe. VWgl. ferner Moller l, 320, Krafft
S. 3602, Iken und Büttner in den Bremischen Jahrbüchern.
») Der jüngere, 1070 geborene Sohn, Enewold (Ewald) Lorenzen war Kantor erst in
Stade, dann 1702- 1712 in Husum.
ꝛ1) Vgl. Th. Voß, Petrus Laurentius Wockenfuß (Mitt. d. Ges. f. Kieler Stadt—
geschichte, Nr. 33, 1926).
*) Evangelia melodica, das ist geistliche Lieder und Lob-Gesänge nach dem Sinn der
ordentlichen Sonn- und Fest-Tages-Evangelien . .. Bremen 1700, 2. Auflage 1704.
nu) Auf Wunsch von Herrn D. Feddersen steure ich dies Kapitel seinem Vuche bei. Als
Quellen kommen neben umfangreichen eigenen Auszügen aus schleswig-holsteinischen Archi—