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B. 2, K. 4, 8 38. Priesterliche Verrichtungen
Liturgische Anordnungen gibt die KO, abgesehen von etlichen Worten über das
Glockenläuten und den Schülergesang, nicht — begreiflicherweise, da neue, dem
reformatorischen Glauben entsprechende Formen der Bestattung sich erst allmäh—
lich bilden konnten. Gerade in bezug auf die Totenbestattung waren in der alten
Kirche manche Gebräuche aufgekommen, welche die Reformation durchaus abzu—
schaffen für nötig hielt, so alles, was von dem Gedanken ausging, daß die Seele
des Abgeschiedenen im Fegefeuer weile und die Kirche alles tun müsse, um ihr
da herauszuhelfen. Dazu gehörten namentlich die Vigilien (die Nachtwachen bei
den in der Kirche aufgebahrten Leichen) und die Seelenmessen (auch Requiems
genannt, nach dem sie einleitenden Introitus: Requiem aeternam dona eis
etc.), in denen Leib und Blut des Herrn zum Besten der Toten geopfert ward.
Auch gegen feierliche Gebete für das ewige Heil des Verstorbenen hatte man viel—
fach Bedenken, aber unsere holsteinischen Bauern ließen sie sich nicht ohne weiteres
nehmen (vgl. oben S. 18, Anm. 22).
Allmählich aber bildeten sich auch in unserm Lande feste Formen der evan—
gelischen Art der Leichenbestattung aus, die, örtlich mannigfach verschieden, doch
gewisse gemeinsame Züge zeigen. Bei einer „großen“ Beerdigung, wie sie im
17. Jahrhundert stattfand, können wir folgende Momente unterscheiden:
l. Das Läuten der Glocken, hier und da auch einer besonderen „Totenglocke““
a) gleich nach dem Absterben eines Gemeindegliedes, b) eben vor der Totenfeier,
c) während des Leichenkondukts, d) zum Abfchluß der Feier.
2. Eine häusliche Feier am offenen Sarge (Parentation), bei der an manchen
Orten (z. B. in Angeln) die Küster oder Schulmeister die Rede hielten.
3. Den feierlichen Zug vom Hause zur Kirche, geführt von einem singenden
Knabenchor, hier und da unter Vorantragung des Kreuzes?)). Die KO läßt das
Singen der Knaben nur zu, wo Schulen (d. h. Lateinschulen) sind, „wo aber
keine Schulen sind, sollen des Toten Freunde und Nachbarn stillschweigend der
Leiche folgen“. Mit der Entstehung und Ausbreitung der Küsterschulen auf dem
Lande ist dann dieser Brauch immer allgemeiner geworden ). In der ersten Zeit
war der Schülergesang wohl meistens lateinisch — die KO nennt als zugelassene
lateinische Gesänge den Benedictus, den Psalm Domine refugium oder De
profundis oder auch das Miserere mit der Antiphon Media “). Die latei—
nischen Gesänge werden sich in den größeren Städten noch lange (bis ins
18. Jahrhundert) erhalten haben, in den kleineren und auf dem Lande wird man
frihe von der Erlaubnis der KO, „auch andere, deutsche Gesänge“ singen zu
lassen, Gebrauch gemacht haben. So sang man etwa: „Midden wy im Leven
syn“ oder „Wenn myn Stündlin vorhanden ys“ oder „Mit Fred vnd Fröuwd
ick fahr darhen“ oder „Vth deeper Noth schry ick tho di“ ).
4. Die „Leichpredigt“ in der Kirche entweder angesichts des im Chor aufge—
bauten Sarges oder, nachdem die Leiche „eingesenkt““ war, als Schlußakt. Die
) Noch heute besteht diese Sitte in ... Schleswig⸗Holstein“, sagt Rietschel II, S. 322.
Wo? Mir ist diese Sitte unbekannt.
25) Wie es bei diesem Schülergesang im alten Wilster herging, schildert sehr ergötzlich
Scumadcer in seinen „Genrebildern““ S. 234 ff.
) S. 632.
27) Im 17. Jahrbundert waren als lateinische Gesänge gebräuchlich: Media vita, Si bona
suscepimus und Credo quod Redemptor meus vivit (Walther S. 144).