Full text: 1517 - 1721 (2)

190 B. 2, K. 4, 8 38. Priesterliche Verrichtungen 
mit geringer Begleitung still zur Erde, vielfach zu „ungewöhnlicher Zeit“, früh 
morgens oder spät abends. Und die Kirche ließ das ruhig geschehen: das soziale 
Gewissen, das solches nicht hätte dulden dürfen, fehlte ihr während unserer Periode 
noch in weitem Maße: ohne daß man sich Böses dabei dachte, galt auch in der 
Kirche der Grundsatz: keine Leistung ohne Bezahlung. Der noch in der KO 
wiederholte altkirchliche Grundsatz, daß die christliche Bestattung als ein Werk 
der Liebe und Barmherzigkeit zu üben sei, wurde immer stärker vergessen. 
Desto üppiger wucherte etwa von der Mitte des 17. Jahrhunderts an das Be— 
streben der Vornehmen und mit Gütern Gesegneten, gerade an diesem 
Punkte, in welchem nach der ergreifenden Predigt der mittelalterlichen Toten— 
tänze die Gleichheit aller Stände so deutlich zu Tage trat, den Wert und die 
Herrlichkeit ihres Standes durch sonderliche Prachtentfaltung zu bekunden. Reich 
geschmückte Särge, Pferde und gemietete Träger in schwarzen Gewändern, ein 
möglichst großes und vornehmes Gefolge, ein zahlreicher Schülerchor, hinter ihm 
die gesamte Geistlichkeit des Ortes, Ausschmückung der Kirche, Spendung mög— 
lichst vieler und dicker Wachskerzen und gegen 1700 hin musikalische Ausgestal- 
tung der „Leichpredigt“ durch kunstverständige Kantoren, endlich ein mit einer 
kunstvoll ausgeschmückten Steinplatte bedecktes Grab im Gang oder gar im Chor 
der Kirche oder ein Sarkophag in den von den Adeligen an „ihre“ Kirchen an— 
gebauten Grabkapellen — das waren so die Mittel, die je länger, desto reichlicher 
von den Vornehmen gebraucht wurden, um ihre Toten zu verherrlichen und den 
Ernst des Sterbens zu verdecken. Und die opulente Bezahlung aller bei dem Be— 
gräbnis Tätigen veranlaßte nicht nur die niederen Kirchendiener, ihr Bestes her⸗ 
zugeben, sondern auch die Prediger, alle Kraft des Geistes auf möglichst geistreiche 
und angenehm in die Ohren klingende Leichpredigten zu verwenden. 
Diese unangemessenen Unterschiede zwischen Reich und Arm gerade an der 
Stelle des Todes traten natürlich am meisten hervor, wo die sozialen Gegensätze 
am stärksten waren: in den Städten, den reichen Marschgegenden und den Adels— 
gemeinden. Auf der Geest, in den einfacheren Landgemeinden dagegen blieb es 
durchgehends bei den alten, guten, die Gleichheit im Tode betonenden Sitten, so 
namentlich bei der, daß die ganze Dorfschaft oder bei größeren Gemeinden eine 
fest bestimmte Folgegemeinschaft jedem Toten, ob arm oder reich, das Grab— 
geleite gab und Trägerdienste leistete. Auch die vielen Gilden sorgten nach mittel— 
alterlicher Weise für eine „ehrliche“ Bestattung auch ihrer verarmten Mitglieder; 
es gab auch „Totengilden“, welche eigens dem Zwecke dienten, ihren Mitgliedern 
eine anständige Beerdigung zu sichern. So wurde die schöne alte Art, in der Be— 
stattung ein Werk der brüderlichen Liebe zu sehen, auch in der Zerrissenheit des 
neu aufkommenden bürgerlichen Klassenstaates von der großen Masse, dem „ge— 
meinen Volke“, doch vielfach aufrecht erhalten. 
Uebel dran waren nur die nach der damaligen Wolksmeinung „unehr— 
lischen“ Leute. Scharfrichter, Büttel und Abdecker hatten vielfach große Not, 
zur Erde zu kommen. Kein „ehrlicher“ Mann wollte sie zum Grabe tragen ). 
2r) Gegen diesen Unfug hat der S. 355 genannte treffliche Augustus Giese einen 
sehr bemerkenswerten Traktat geschrieben: Der Weeschreiende Stein über den Greuel, daß 
man die Diener der Justiz bisanher nicht zu Grabe tragen / und nun auch Ihrer etlicher 
Frauen in Kindesnoth Niemand helfen will. 1087.
	        
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