§39. Die katechetische Tätigkeit der Kirche.
Während der Katholizismus ein gewisses unbewußtes Christentum der großen
Masse ertrug, forderten die Prinzipien der Reformation (Betonung des indivi—
duellen Glaubens) auch für die einfachen, „groben“ Leute eine gewisse Kenntnis
der im Worte Gottes gegründeten Lehre der Kirche, ein wenigstens einfaches Ver—
ständnis der Glaubenstatsachen und sogar, namentlich für die Teilnahme am
Abendmahl, die Fähigkeit, den christlichen Glauben selber zu bekennen und aus—
zusprechen. Sollte aber dies Ziel erreicht werden, so galt es in viel höherem
Maße, als die alte Kirche das getan hatte, das Kirchenvolk im christlichen Glau—
ben zu unterrichten, also Katechese zu treiben. Das volkstümliche Verständnis
des christlichen Glaubens aber war im Lutherschen Katechismus gegeben. Die kate—
chetische Arbeit der Kirche bestand also in dem Bemühen, allen Gliedern des
Volkes zur Kenntnis und zum Verständnis des Kleinen Katechismus zu ver—
helfen.
Auch unsere s.eh. KoO (S. 15, 17) hat diese Arbeit den Kirchendienern als
eine der wichtigsten Amtstätigkeiten ans Herz gelegt und mit der (gleichfalls auf
die religiöse Belehrung des Volkes gerichteten) Predigttätigkeit auf die gleiche
Stufe gestellt. In diesem Sinne hat die katechetische Tätigkeit der Kirche während
der ganzen Periode der Orthodoxie in dem Amtsleben der Geistlichkeit MPastoren,
Diakonen und Küster) eine große Rolle gespielt. Wie es dabei herging, soll im
folgenden geschildert werden. Eine gewisse Ausführlichkeit der Darstellung ist
deshalb erforderlich, weil die damalige katechetische Arbeit der Kirche in Form
und Methoden sich stark von den heute üblichen und angemessenen unterschieden
hat. Vor allem haben wir uns von vornherein vor Augen zu halten, daß als
Objekt der katechetischen Arbeit nicht nur wie heute die Jugend, sondern auch die
Erwachsenen in Betracht kamen. Im einzelnen haben wir als Stücke, in welchen
sich die katechetische Arbeit der Alten von unserer heutigen stark unterschied, zu
betrachten: 1. die Katechismuspredigt, 2. die Art, in welcher den Leuten der Ka—
techismustert beigebracht wurde, und 3. das sog. Katechismusexamen.
1. Die Katechismuspredigt.
Unter Katechismuspredigten sind solche zu verstehen, in denen in loco textus,
also anstelle des Evangeliums oder der Epistel ein Stück des Katechismus trat,
das wie sonst jene erklärt und ausgedentet wurde. Solche Predigten waren an
sich nichts neues. Auch die katholische Kirche hatte sie gekannt und geübt — Luther
selbst hat schon während seiner katholischen Zeit Predigten über den Katechismus
gehalten. Das Neue lag in der starken Betonung dieser Predigtart und ihrer me—
thodischen Anordnung.
Unsere KO macht wie andere reformatorische Ordnungen einen starken Un—
terschied zwischen Stadt und Land. Wie die Reformation, soweit
sie eine volkstümliche Bewegung gewesen war, von dem „gebildeten““, zum wenig—
sten lesen könnenden bürgerlichen Publikum getragen worden war, so hielt man
einen kirchlichen Unterricht der besseren Stadtbürgerschaft nicht für nötig. Unsere
KO ordnet deshalb in den Städten besondere Katechismuspredigten nur für die
sonntäglichen Frühgottesdienste und das von altersher die Frühmesse besuchende