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B. 2, K. 4, 8 39. Katechetische Tätigkeit
grosier Freude verzeichnet. Aber zu solcher Freude hatte der Superintendent, was
wenigstens die Erwachsenen betraf, nur in seltenen Fällen Anlaß.
Von Sieseby berichtet er: Ziemlicher prosectus war bei den Zuhörern insgemein zu
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Bibel gelesen, da sie aus dem Evangelium des 12. S. n. Tr. gefraget ward, wie die Leute
gesprochen, da Christus den stummen und tauben Menschen gesund gemachet, auf Latein und
Deutsch zugleich geantwortet: bene omnia kfecit, Er hat alles woll gemachet. — Von
Selent heißt es: Bey der Visitation waren sie (die Schulkinder) mit Haufen, beteten
sein ihren Catlechismum, die Psalmen Davids, Lutheri und dergleichen ete. langsamb und
deutlich, das es mit Lust zu hören war, doch etliche auch geschwind, die zu langsamen, deut⸗
lichen Aussprechen ermahnet worden. Die Alten aber, die zur Schulen nicht gegangen, beteten
den Catechismum zerstümmelt und zerbrochen, wie sie pflegen, nur nach der Larve, ohn allen
Verstand, wovon sie nicht abzubringen sein, man blewe und jewe ihn für, wie man will. —
Von Lütjenburg heißt es: In visitatione sein die Leute mehrstentheils sehr rudes be—
funden, der Catechismus und andere Gebete und Fragestücke müssen sich sehr stümmeln lassen;
Hätte man protocolliren sollen, würde man Wunderding gelesen haben. Was sie antworten,
ist oft weder gehauen noch gestochen, das gar keinen sensum hat, und weder sie selbst noch
andere verstehen können. Ein einiger war vorhanden, eines Küsters Sohn von Sühnen (7),
unter Hertzogen Joachims Ernstens Gebiete gebürtig, seines Handwerks ein Weber, der sehr
quten Bescheid in allem gab, und Gottes Worte fleistig gelesen, gehöret und von Jugend auf
gelernet hat, der war gewißlich unus istar omnium in hoc coetu.
Ja, weiße Raben waren jene Küstersfrau und dieser Küsterssohn. Die Resul—
tate des Erwachsenenunterrichts namentlich auf dem platten Lande waren kläglich.
Und das trotz aller zum Teil fast rührend anmutenden Anstrengungen seitens des
Pastors und des Superintendenten.
In einem Bericht aus Propsteierhagen heißt es:
Hans Rühle, „der vor diesem von seinem Christenthum nichts wußte, laut voriger Re—
lation, und das Vater unser nicht beten kunnte, hat nun, Gott Lob, das Vater unser beten
gelernt, kann auch auf die einfältigen Christenthumbsfragen antworten und seine Beichte
tolerabiliter thun. Pastor ist mit ihm zufrieden, hält dafür, daß wohl Einfältigkeit und
Albernheit — das Wort hat noch keinen üblen Sinn — mit unterlaufe, damit man Geduld
haben müßte; man hoffe immer das Beste.
Schon diese mangelhaften Resultate, verbunden mit dem durchaus verständ—
lichen und auf einem ganz gesunden Volksempfinden beruhenden passiven Wider—
stand, hätten die Maßgebenden darüber belehren müssen, daß die Erwachsenen⸗
katechese ein verfehltes Unternehmen war. Es wäre besser gewesen, wenn man sich
zur religiösen Belehrung der Erwachsenen auf die Katechismuspredigt beschränkt
hätte: diese konnte, wenn sie recht pppulär angelegt wurde, in der Tat von großem
Segen sein. Es lag aber auch ein organischer Fehler vor. War es denn über—
haupt nötig, den alten einfachen Leuten den Wortlaut des Katechismus mit Ge—
walt einzudrillen? War es evangelisch, war es dem wahren Christentum ent—
sprechend, das wörtliche Herbetenkönnen der Katechismusworte in dem Beicht—
rramen zur Bedingung des Abendmahlsempfanges zu machen“)? Zu solcher
Fragestellung sich aufzuschwingen, war die Kirche, solange die ungebrochene Ortho—
doxie herrschte, nicht fähig: ihr gesetzlicher Charakter und das stark intellek⸗
ualistische Moment, das ihr von Anfang an anhaftete, hinderte sie daran.
Immerhin: auch schon in der orthodoxen Periode brach sich die Einsicht Bahn,
daß man für die religiöse Belehrung des Kirchenvolkes bessere Wege suchen müsse.
Es ist das besondere Verdienst des in der Regel als blind-orthodox verurteilten
5) Vergl. das oben S. 482 f. Gesagte.