B. 2, K. 5, 6—412. Erziehung des Volkes
An dieser Stelle haben wir zu betrachten, wie im 16. und 17. Jahr—
hundert Staat und Kirche, Obrigkeit und Geistlichkeit
in unserem Lande an der Erziehung unseres Volkes zu—
sammenwirken. Damit greifen wir weit hinaus über das, was man ge—
wöhnlich als „Kirchenzucht“ bezeichnet: die Disciplina ecclesiastica, das kirch—
liche Strafamt ist nur ein Teil, wenn auch kein unbedeutender, des kirchlich-staat—
lichen Gesamtwerks der Volkserziehung. Wir wollen uns auch nicht damit be—
gnügen, die volkspädagogische Tätigkeit von Obrigkeit und Klerus als solche zu be—
leuchten, sondern auch ihre Resultate in Betracht ziehen und zu erkennen
suchen, wie das Objekt der Erziehung, das Kirchenvolk, auf sie reagiert. Damit
erst gewinnen wir ein vollständiges Bild unserer Volkskirche, wie sie in dem be—
zeichneten Zeitraum tatsächlich lebte. Ich bin mir voll bewusit, wie schwierig es ist,
das tatsächliche religiöse und sittliche Leben des Volkes richtig zu erfassen und an—
schaulich darzustellen, aber gegenüber den rein theologischen und vom spezifisch
„kirchlichen“ Standpunkt aus gesehenen bisherigen Darstellungen, die über die
tatsächlichen Wirkungen der Volkskirche nur allzuleicht einen täuschenden Schleier
breiten, erscheint in unserer auf „religiöse Volkskunde“ eingestellten Zeit ein erster
Versuch solcher Darstellung als dringendes Erfordernis.
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542. Obrigkeit und Geistlichkeit als Erzieher des Kirchenvolkes.
1. Die erziehliche Tätigkeit der christlichen Obrigkeit.
Die christliche Obrigkeit, die gerade in unserem Lande mit besonderer Kraft und
Entschiedenheit das Kirchenregiment in die Hände genommen hatte, hat hier auch
verhältnismäsiig früh begonnen, durch ihre Mittel (Verordnungen und Strafen)
das kirchlich-sittliche Leben der Untertanen zu regeln. Letzten Endes ist ja schon die
Kirchenordnung, obgleich in erster Linie Ordnung des kirchlichen Handelns,
in zweiter Linie eine obrigkeitliche Regelung des religiös sittlichen Lebens
des Kirchenvolkes. Als solche ist sie auch durch immer wiederholte Verlesung ihrer
diesbezüglichen Anordnungen dem Volke bekanntgemacht worden und hat diesem
schließlich als ein heilig Gesetz gegolten, das an Autorität durchaus mit der Bibel
konkurrierte).
Besonders die Gottorfer Regierung hat sich angelegen sein lassen, die. volks—
pädagogischen Bestimmungen der KO in lokalen „Reformationen und Polizei—
ordnungen“ weiter auszubauen. So in der im Ganzen noch ungedruckten Hu—
sumer „Ref. u. PO“ und der dem Eiderstedter Landrecht von
1591 angehängten „Ref. u. PO“, welche mit jener eine enge Verwandtschaft
zeigt (C. S. S. J, S. 1360ff.). Hierher gehört auch die „Kirchenordnung“, ge—
nauer die „Korrektur“ der allgemeinen KO, welche Johann Adolf 1598 für das
Amt Apenrade erließ (veröffentlicht von H. von Schubert in Schrr. IV, S. 30 ff.).
Veranlaßt durch lebhafte Klagen der höheren Geistlichkeit über das unchristliche
Leben der Gemeinden und erschreckt durch den Zorn Gottes, der im beginnenden
großen Kriege sich zu offenbaren schien, erließ Her zog Friedrich am 3. Juli
) Es ist sehr charakteristisch, was ich vielfältig gefunden habe, dasi, wenn Augeklagte, z— B.
Herxen, ihre christliche Rechtschaffenheit behaupten wollen, sie das so ausdrücken: sie hätten stets
nach der Kirchenordnung gelebt.