Benehmen des Kirchenvolkes
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das Benehmendes Kirchenvolks in denselben. Die gute Disziplin,
die Ruhe und Stille, welche heute die Kirchenbesucher im allgemeinen auszeichnet,
sollte in jener undisziplinierten Zeit erst geschaffen werden. Zu einer Entschuldigung
für das vielfach getadelte Benehmen der Leute dient ohne Frage auch die un—
geheure Länge des Hauptgottesdienstes: dauerte er doch nach
offizieller Angabe immer mindestens drei Stunden (eine Stunde Vormesse und
Taufen, eine Stunde Predigt, eine Stunde Abendmahl, Trauungen usw.) und
stellte also, besonders im Winter, wo es außer den von den Leuten selber mit—
gebrachten „Feuerkieken“ in den allermeisten Kirchen keine Heizung gab, an die
Geduld der Leute ungemeine Ansprüche. Es war kein Wunder, wenn diese
aller reformatorischen Predigt vom Unwert der guten Werke zum Trotz schon in
dem geduldigen Aushalten des Gottesdienstes eine Gott wohlgefällige Leistung
sahen.
Vielfach wird geklagt, daß die Leute sich sehyr ungleichmäßig und spät
in die Kirche begaben. Bis zum Beginn der Predigt ging fast unaufhörlich die
Tür. Mag das mit dem Mangel an richtiggehenden Uhren zum Teil zusammen⸗
hängen, so galt diese Entschuldigung doch nicht für die Junker: bei diesen scheint
es geradezu ein Prinzip der Vornehmheit gewesen zu sein, möglichst spät zum
Gottesdienste zu kommen. Da die Pastoren nicht umhin konnten, sich nach den
hochmögenden Herren zu richten, so begann in manchen Gutsgemeinden der
Gottesdienst erst um 10, statt um 8 Uhr. Ebenso wird geklagt, daß manche Leute
gleich nach der Predigt, ohne den Segen abzuwarten aus der Kirche liefen. Das
hatte indessen auch einen entschuldbaren Grund, insofern nach der Predigt oft
unendlich lange Verlesungen von obrigkeitlichen Verfügungen einsetzten, welche
anzuhören man vielfach weder für nötig noch angenehm hielt.
Im Gegensatz dazu bezeugt Fabr. 10359 von Gelting: „Pfarrkinder blei—
ben alle in der Kirchen bis nach dem Segen; wenn der gesprochen, wirt die
Betglocke geschlagen; da fallen sie alle auf ihre Knie, thun ihr Gebet, gehen
damit zur Kirchen alle eintrechtig hinaus.“
Eine von Anfang an immer wiederholte Klage geht dahin, daß die Leute, statt
sich sofort ins Gotteshaus zu begeben, auf dem Kirchhof standen oder
herumspazierten und miteinander schwakßzten oder gar Kurzweil und „Buberei“
trieben.
Schon in der Husumer PO von 1583 und einer Steinburger Verfügung von 1501 (Bu J,
47) wird gegen dies Unwesen Stellung genommen. Besonders scharf ging Graf Pentz vor.
16042 bedroht er die Wewelsflether mit Brüchen, bzw. ostündiger Schließung an das
Halseisen, 1044 die Borsfhether zum l. Mal mit 20, zum 2. Mal mit 40 Rihl., zum
3. Mal mit Schliestung an den Pranger. Graf Chr. von Rantzau verordnete für das Amt
Rendsburg, daß auf allen Kirchhöfen des Amtes „Pranger und Halseisen“ zu setzen und die
„so gotteslästerlich fluchen oder auf dem Kirchhof Mutwillen treiben ... einen ganzen Tag
an solche zu schliessen seien“ (1047). Solche drakonischen Maßregeln halfen jedoch wenig:
noch 16095 erging ein Befehl des Steinburger Amtmanns an das Kirchspiel Wilster,
dasi die Landdiener auf Ordre des Kirchsrielsvogts die, so unter dem Gottesdienst auf dem
Kirchhof Mutwillen trieben oder plauderten, in Brüche zu nehmen anmelden oder nach Be—
finden in's Halseisen stecken sollten. — Doch nicht überall ging man so rigoros vor. Manche
Pastoren übten das „compelle intrare'“ in Sauftmut, indem sie eben vor der Predigt die
Juraten oder Aufsichtsmänner vor die Tür sandten oder, da deren Autorität nicht immer an
erkannt wurde, selber hinausgingen und die Leute freundlich in die Kirche lockten (Fabr.). Die
gleiche freundliche Tendenz zeigt der unter Prorst Clüver gefaßte Beschluß des Süderdith—
marscher Kalands (1631): „Damit auch die Nachlässigen und Säumigen ein Zeichen haben,
sich im Gottesdienst unärgerlich zu erzeigen, so soll allenthalben bei der Verlesung des Evan—
gelii für dem Altar die Glocke gezogen und die Eidgeschwornen verbunden sein, alsdann die