Kirchenvolk und Altarsakrament
539
Sakraments („unehrliches“ Begrähnis) ist noch die Kön. Konstitution vom
24. Oktober 1040 anzuführen, in der es unter Punkt 9 des 3. Hauptpunktes
(in C RH nicht aufgenommen) heißt: „Insonderheit aber sollen die Verächter
der Sacramenten und die über Jahr und Tag sich vom hochwürdigen Abendmahl
absentiren und abhalten, gestraffet und mit öffentlicher Pönitentz und Kirchen Buße
ohne unterscheidt beleget werden.“ In derselben Constitution wurden, nachdem
„es ihnen schon vorhin bei den Visitationibus angezeigt“ worden war, die Pre—
diger angewiesen, zum Zweck der Kontrolle des Abendmahlsbesuchs ihrer Gemeinde—
glieder eine „Spezial-Designation“ der Konfitenten und Kommunikanten anzu—
legen “).
Es ist sehr bemerkenswert, daß es doch Geistliche in unserem Lande gegeben
hat, welche gegen solchen obrigkeitlichen Zwang und insonderheit gegen diese könig—
liche Constitution protestierten. Wir wissen das von dem derzeitigen Pastor zu
Marne und dem Propsten Naaman Bernhardinus. Letzterer meinte in
einem Schreiben an GSeKlotz, den Inspirator jener Constitution: „MModerata
durant: wir solten Gott danken, wenn sie nur kämen und sie Exemplo Salva-
—
Wir müssen anhalten, aber die Gewissen nicht zwingen, daß sie unwürdig hin—
gehen.“ Klotz erwiderte jedoch (6. März 16048, vergl. Bu l, 182 f.): zwar sei
zwischen mutwilligen Verächtern und solchen, die aus andern Gründen das Abend—
mahl versäumten, ein Unterschied zu machen; im übrigen stehe es weder ihm (!)
noch dem Propsten zu, in der kgl. Const. etwas zu dispensieren. Raaman mußte
mit seinen beachtenswerten Bedenken zurücktreten und 1056 auf höheren Befehl
die Sakramentsverächter unter seinen Süderdithmarschern auffordern, sich inner—
halb einer gedoppelten sächsischen Frist (S 2)6 Wochen) unfehlbar zum Abend-
mahl einzufinden, falls sie Kirchenbuße und nach Befindung Relegation und
Landesverweisung vermeiden wollten.
Es blieb also dabei, daß die heiligste Feier eines Christenmenschen unter obrig
keitlichen Zwang gestellt war.
Uns heutigen liegt die Frage nahe, ob nicht dieser Zwang geeignet war, dem
Kirchenvolk die heilige Feier zu verekeln oder wenigstens zu entwerten. Bei den
Frommen der Zeit war das, wenn ich recht sehe, nicht der Fall. Denn die Ehr—
furcht vor der Obrigkeit und der willige Gehorsam gegen ihre Forderungen war
ja ein Hauptstück gerade der in der lutherischen Kirche gepflegten Frömmigkeit.
So waren es also nicht die frommen Seelen, die an der gezwungenen Feier An—
stoß nahmen, sondern höchstens die rebellischen Leute, die mit Gott und der Obrig—
keit und der bürgerlichen Gesellschaft zerfallen waren. Diese aber bildeten immer—
hin eine kleine Ausnahme, und freilich wäre es vielleicht richtiger gewesen, solche
laufen zu lassen und sie nicht mit Gewalt an den Altar zu schleppen. Dazu aber
war die christliche Obrigkeit jener Tage wieder zu gewissenhaft: sie hielt es ja für
ihre gottgegebene Pflicht, auch für das Seelenheil ihrer Untertanen zu sorgen, und
da trotz Luther der Begriff der individuellen religiösen Freiheit noch nicht geboren
war, hielt man es nicht für eine Vergewaltigung, sondern für eine väterliche Für—
sorge, wenn man eine Seele, die auf eigenen Wegen zur Hölle zu wandeln schien,
mit Gewalt in den Himmel trieb.
VDiel bedenklicher als die Herantreibung Widerwilliger zum Altar war es, wenn
der Zwang der Obrigkeit auch vor redlichen Gewissenbedenken williger Leute keinen
6) Von da an datierte also im Königlichen Teile die Anlegung von Kommunikantenregistern.