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B. 2, K. 5, 9 43. Erziehung zur kirchl. Frömmigkeit
Halt machte. Dabei denke ich hier nicht an den Abschen, mit welchem fromme
Sektierer auf die gemischte Gesellschaft, welche sich in den Kirchen am Tische des
Herrn zusammenfand, hinblickten: daß das „hochzeitliche Kleid'', welches die KO
S. 45 für die Teilnahme am Abendmahl erforderte, nicht das weiße Kleid der
vom Herrn erforderten „besseren Gerechtigkeit““ (Matth. 5, 20), sondern das grobe
und befleckte Kleid des bürgerlichen Anstandes war, ließ sich in einer Volkskirche
nicht vermeiden. Vielmehr denke ich an verbürgte Fälle, in welchen ernste und
gewissenhafte Kirchenleute sich aus Gewissensgründen eine Zeitlang der Kommunion
enthielten.
So berichtet Fabr. 1639 aus Klipleff von einem angeblichen Totschläger und den
„Freunden des Entleibten“, welche sich beiderseits vom Abendmahl enthielten, weil sie sich über
die angebotene Mannbuße lo) nicht einig werden konnten. Ferner berichtet er aus Prob⸗
st eierhagein von einem Manne, der zur Kirche kam und „sein Christentum beten“ konnte,
also im Sinne der Kirche ein frommer Mann war, daß er sich schon 4 oder 5 Jahre von der
heiligen Kommunion abgehalten habe, weil er von gewissen Leuten der Zauberei und Hererei
„nach seinem fürgeben zur Vugebühr“ beschuldigt worden war und nun das Gefühl der Feind—
seligkeit gegen diese Verleumder nicht loswerden konnte. „Pastor wendet allen Fleiß an, ihn
auf den rechten Weg zu bringen .“
Statt solche Gewissensbedenken als dem Evangelium entsprechend (Matth. 5,
214— 24) zu loben, und sich über eine derartige hohe Schätzung des heiligen Mahles
zu freuen, hielt die derzeitige christliche Obrigkeit es für ihre Pflicht, den Leuten
ihre Bedenken auszureden. Solches geschah in der Gem. Verordn. vom 14. 12.
16023, in welcher es nach dem Gebot, mindestens einmal im Jahre zu kommuni—
zieren, heißt (CRIL I, 244):
Wie Wir dann auch nicht zugeduldenwissen, daß etliche, welche mit dem Nehisten
in Streit und Uneinigkeit leben, sich der Beicht und Communion zu enthalten pflegen, sondern,
wie keinem Christen gebührt, ob er schon von seinem Nehisien beleidigt zu seyn oder ver⸗
unrechtet zu werden vermeinet, darumb im Herzen einen Groll oder rachgierigen Widerwillen
zu tragen, vielmehr, da Miswerstendtniß erwachsen, solche entweder in der Güte beyzulegen,
oder durchs Recht aufzuheben senn, und ein Christ mit gutem Gewissen Rechts Streite für der
ordentlichen Obrigkeit führen kann, wann nur dessen genugsame Ursachen vorhanden, und dabey
kein Haß oder Rachgierigleit mit unterläuft, sondern man (inmaßen allerdings seyn soll)
der Sachen Feind und des Mannes Freund ist; Als wollen und gebieten Wir
ern st lich, daß diejenige, welche mit einander Rechtfertigungen, oder sonst wider einander
was haben, gleichwol bey der Absolution und dem Tisch des Herrn als würdige Gäste sich
finden lassen, aber ihre Sachen in Entstehung der Güte dem Richter befehlen, und des recht⸗
lichen Ausschlags geduldig abwarten sollen.
Wir lesen über solche AÄußerungen vielfach leicht hin, ohne zu bedenken, wie
grausam solche Staatsmoral den feinen Geboten der vollkommenen christlichen
Nächstenliebe widerspricht (gl. Matth. 5, 38 - 48 und 1l. Kor. 6, 1- 8), und
wie ungeniert feine christliche Gewissen von der Obrigkeit vergewaltigt wurden.
Jedenfalls hat durch solche Belehrungen auch die christliche Obrigkeit das ihre
dazu getan, die heilige Handlung zu entwerten und sie aus einer feinen innerlichen
Handlung der Seele mit ihrem himmlischen Herrn zu einem von der Obrigkeit
zgeforderten Stücke des Anstandes und der bürgerlichen Sitte zu machen.
dieber hätte sie ihren Untertanen den Ernst und die Heiligkeit des Abendmahls
predigen sollen. Denn daß es, mochten auch manche fromme Seelen sich aus
innerem Bedürfnis und mit heiligem Schauer ihm nahen, von der großen Masse
nur als äußerliche Sitte mitgemacht wurde, steht auch für jene Zeit fest. Wir
iu) Val. die Vorschrift der KO S. 45, daß ein Totschläger nicht eher absolviert und zum
Abendmahl zugelassen werden darf, als bis „dem Widerparte durch Zahlung der Mannbuße
genuggetan sei.“