Ehegesetzgebung im Reformationsjahrhundert
501
es mit den Eheversprechungen junger Leute nur allzuhäufig nicht genau genommen
wurde und es demnach oft vorkam, daß bei Eingehung einer Ehe frühere „Ver—
hältnisse“ offenbar wurden *). Endlich, daß nicht selten Brautleute, welche Grund
hatten, eine Eheschließung in ihrem Heimatorte und vor dem rechtmäßigen Kirch—
herren zu scheuen, in fremde Kirchspiele liefen'“) oder gar von unrechtmäßigen,
„vagierenden“ Priestern sich kopulieren ließen.
2. Eheverordnungen des 17. Jahrhunderts.
Wie es dem 17. Jahrhundert überhaupt eigentümlich ist, daß die „hohe“
Obrigkeit in alle Lebensverhältnisse ihrer Unterthanen mit einem reichen Aufgebot
von regulierenden Verfügungen und „Polizeiordnungen“ eingriff, so geschah es
auch auf dem Gebiet der Eheschließung. Um der Fülle des Stoffes willen ver—
lasse ich die chronologische Ordnung und versuche die gesetzgeberischen Maßnahmen
in möglichster Kürze systematisch zusammenzustellen“).
1. Was die verbotenen Grade anlangt, so wurde vor allen Dingen
das Dispensationswesen näher geordnet. Wie die Fürsten „im Namen
Gottes aus obrigkeitlicher Gewalt“ ihre Gesetze gaben, so nahmen sie aus gleicher
Gewalt die Befugnis auf Ansuchen von ihren Geboten zu dispensieren für sich
in Anspruch. Doch übten sie nicht wie Gott der Herr dies Recht frei und umsonst,
sondern ließen sich gehörig bezahlen: die Amtleute und anderen Oberbeamten waren
gehalten, die Dispensationsuchenden „nach bestem Vermögen“ anzusetzen (Herzog
Friedrich 1020), bzw. ihnen die „Recognition nach Erstreckung ihrer Güter und
Vermögens aufzuerlegen und abzufordern“ und die Erlegung in gutem Gelde,
„als in Portugiesen, doppelten Ducaten, Rosenobeln und Engelotten“ usw. zu
veranlassen. So ward die Durchbrechung angeblich göttlicher Gesetze zu einem
Vorrechte der reichen Leute“) und zu einem trefflichen Mittel die fürstlichen
Kassen zu füllen. Was Luther einst am päpstlichen Dispensationswesen getadelt
hatte, das kehrte nun in neuer Form wieder: je näher die Verwandtschaft der
Brautleute, je bestimmter also — nach damaliger Auffassung — die Ehe nicht
109) Wie in solchem Falle das Schleswiger Konsistorium entschied, dafür bringt J Meein
Beispiel aus dem Jahre 1543 (III, 198 und 350 ff.).
:6) Ein Mandat Friedrichs II. (ELR II I, 381) bedroht 1578 diejenigen seiner Unter—
thanen in der Kremper und Wilster Marsch oder Königlich-Dithmarschen, welche über die Elbe
nach dem Altenlande und Kedingen „setzten“, und dort „ihres Gefallens“ Hochzeit hielten.
In diese Kategorie gehörten auch leibeigene Leute, die als solche ja der Einwilligung ihrer
Herrschaft zur Verehelichung bedurften, aber gelegentlich durch heimliche Kopulation an anderen
Orten die Ehe mit ihrer Geliebten erzwangen. Sie wurden in solchem Fall zwar von der
Herrschaft „incarcerirt““, aber die Ehe blieb rechtsqültig (ein Beispiel bei Fabr.).
17) Eine treffliche Zusammenstellung der die Ehesachen betreffenden Verfügungen für S.h
bietet der schon genannte „Kurtze Anlaß zu einem Auszuge usw.“ von Christian Grassan,
Pastor in Neuendorf. Altona (1731). Viele Verordnungen, welche Cronhelm in dem CRAII
ausgelassen hat, finden sich handschriftlich bei Bu.
t) Wie traurig es in dieser Beziehung bei armen Leuten stand, dafür gibt Fabr. ein
Beispiel: In Lenfahn waren 1059 „zwo Personen, die miteinander mit Blutsfreundschaft in
secundo et tertio ßgradu lineae inacqualis verwand; haben unzucht getrieben. Vitiata
zibt für, vitialor habe ihr die Ehe zugesaget, er aber leugnet solches. Sind arme Leut,
würden vielleicht zusammen in Ehestand treten, sie haben aber das Vermögen nicht, die Dispen-
sation ben der hohen Obrigkeit zu suchen. Immittelst bleiben sie vom heiligen Abendmahl,
können auch nicht dazu sine publica absolutione und solang sie der Zusage halber uneinig
sind, admittiret werden. Welches dem Pastori münd- und schrifftlich angezeiget worden. Dis
solte wol nebtwendig an die hohe Obrigkeit gebracht und von deroselben gebührende Verordnung
gemacht werden.
Feddersen, Kirchengeschichte, B. II.