Die „Hurerei“
565
In Wesenberg klagte bei der Visitation von 1593 der Pastor, daß die unzüchtigen Per⸗
sonen, mit welchen dort besonders die (fremden?) Handwerker verlehrten, „in ihren geflochtenen
losen Haaren herinner (in die Kirche) treten“. In Flensburg kam es oft vor, daß eine
geschwängerte Magd bis auf die äußerste Zeit der Geburt „in den Haaren ging“. Die dortige
PO von 16000 verordnete daher (C. St, Sl. Il, 299), daß einer soichen die Haare durch den
Büttel abgeschnitten und an den Kaak genagelt werden sollten. — Als in Lebrade bei der
Generalvisitation von 1041 herausgestellt wurde, daß ein „Weibesbild“ nicht freiwillig zur
Hure geworden, sondern genotzüchtigt sei, meinte der Pastor, „es sei genug, daß von der
Tantzel ihre vnschuldt angezeiget werde“, und fragte, ob sie in den Haaren gehen solle oder
bedeckt.“ Der GS Fabricius „stellte es zu der hohen Obrigkeit Decision“.
Christian IV. glaubte dem „greulichen und gemeinen Hurenwesen“ mit Hinsicht
darauf, „daß unter gemeinen Standes Personen die Geschwängerten häufig sich
berufen, als ob sie sSub spe matrimonii unter den Fuß gebracht“, damit Ein—
halt zu tun, daß er verordnete (1042, C. C. 1, 385): „so ferne die gerühmte ehe—
liche Zusage beschehen zu seyn wird erwiesen werden, daß alsdann unter den
gemeinen Leuten und so gleiches Standes und Herkom—
mens seyn, sonderlich aber dem Bauers-Volk die Stupratores die geschwächte
und impraegnierte Personen ohne Widerrede ehelichen und heirathen sollten“, eine
„Strafe“ also, welche die vornehmen Verführer armer Mädchen klüglich ver—
schonte.
Wiederholte Hurerei wurde natürlich stärker bestraft. Christian IV.
verordnete 16042 (Const. J, 91): Wer zum 2. Male damit betroffen werde, solle
an den Pranger gestellt oder mit Gefängnis bestrafet, zum 3. Male aber (mit
Ruthen) ausgestrichen und des Landes verwiesen werden. Solche Landesverweisung
konnte unter Umständen als eine sehr grausame Strafe empfunden werden.
Auf der Visitation zu Bramstedt 1003 wurde über ein Weib verhandelt, das sich dreimal
hatte beschlafen lassen. Der Pastor trug vor, daß durch eine „Relegierung“ derselben ihr alter
Vater schwer betroffen würde, indem er dann keine Haushälterin haben würde, da seine Frau
alt und schwach sei; auch gebe die Beklagte an, daß sie das 3. Mal von einem Reuter genot⸗
züchtigt sei. Amtmann und Propst (GS Hudemann) ließen ihr Herz rühren und erließen dem
Mädchen die Landesverweisung, unter der Bedingung, daß es etwa ein oder zwei Sonntage au's
Halseisen geschlagen werde, und dann Kirchenbuße verrichte. (Bu 1, 622 5)
Gesetzmäßig traf den männlichen Hurer dieselbe Strafe wie den weiblichen.
Aber naturgemäß konnte sich der Mann der Entdeckung leichter entziehen als das
Weib. Dazu kam, daß je länger desto leichter bei denen, die des Vermögens waren,
die Kirchenbuße durch Geld abgekauft werden konnte “), die vornehmen Verführer
also ihr entgingen: der Schimpf und die Schande blieb allemal bei den armen
Mädchen hängen. Es ist wohl keine Frage, daß die schimpfliche Strafe auf
„bessere““ Mädchen in starkem Maßt abschreckend gewirkt hat, und wenn bis in
die neueste Zeit für Töchter „besserer““ Eltern eine uneheliche Geburt als höchst
unanständig gegolten hat, mag das noch als eine wohltätige Folge der öffentlichen
Schande, welche in früheren Jahrhunderten ein „gefallenes“ Mädchen sich zuzog,
zu betrachten sein. Da freilich, wo die unehelichen Geburten infolge der ungünstigen
sozialen Verhältnisse s. z. s. mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auftraten, wie
unter den Leibeigenen der adeligen Güter, blieb auch Kirchenbuße und Halseisen
ohne Wirkung: die armen Mädchen nahmen die Schande als unabwendbares
*) Ein Beispiel solches Kaufes bei Bu J, 024 f.: Ein Ratsherr in Heilige nhafen,
der sich contra sextum vergangen hatte, wurde vom Segeberger Konsistorium zur Kirchen-
busie verurteilt und aus dem Rat ausgeschlossen. Er appellierte an den König und bat um
Erlassung der Kirchenbußse und Wiederaufnahme in den Rat. Beides wurde ihm gewährt,
nachdem er 100 Rth. ad pias causas, nämlich zum Bau der neuen Kirche in Rendsburg,
erlegt hatte, 1094.