B. 2, K. 6, 9 47. „Fremde Religionsverwandte“
So hat es also während unserer ganzen Periode an
einer maßgebenden Schulordnung gefehlt. Auf dem Gebiete
des Schulwesens herrschte noch die mittelalterliche „Freiheit“: jeder tat so ziem—
lich, was ihm gefiel, und die Fortschritte waren dem etwaigen Wohlwollen und
Eifer der lokalen Instanzen, das heißt dem Zufall preisgegeben. Erst der Pie—
tismus und noch mehr die Aufklärung haben bei den regierenden Kreisen das
nötige Interesse an der Elementarschule erweckt und zu umfassenden Schulordnun—
gen und wirklicher Hebung der ländlichen Schulen geführt“).
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6. Kapitel: Die „fremden Religionsverwandten“.
§ 47. Die Fremdgläubigen und die Obrigkeit.
Als Erbschaft der mittelalterlichen Idee des einheitlichen Corpus christianum
hatten die Reformationskirchen den Gedanken der Einheit von Volk, Staat
und Kirche übernommen. Ein Volk mit gleichem seligmachenden Glauben und
gleichen dem Worte Gottes entsprechenden Zeremonien, sorgsam von der weltlich—
geistlichen Obrigkeit vor falscher Lehre und verkehrtem Gottesdienst behütet —
das war die altprotestantische Staatsidee, welche, wenn auch angefochten, sogar
die Aufklärung und die französische Revolution überstand, um erst in der Neuzeit
durch den Gedanken eines den verschiedenen Religionen neutral gegenüberstehenden
Staates abgelöst zu werden.
Aber die altprotestantische Staatsidee ist schon frühe durch praktische Not—
wendigkeiten durchbrochen worden, früher noch als in anderen, mehr abgeschlos⸗
senen deutschen Gebieten in unserem Lande, dieser schmalen, von zwei Meeren
umspülten Völkerbrücke. Wie unser Land schon im Mittelalter fremdländischen
Einwanderern bereitwillig seine Tore geöffnet hatte — ich erinnere an die hol—
ländischen Deichbauer in Eiderstedt, in der Kremper- und Wilster-Marsch — so
führten nach der Reformation die im Süden entbrannten Religionskriege und
Verfolgungen einen breiten Strom von Einwanderern in unser Land, die, aus
der Heimat vertrieben, hier Schutz und neuen Erwerb suchten. Namentlich aus
den Niederlanden war der Zustrom groß, begreiflich dadurch, daß hier schon so
manche Volksgenossen siedelten. Aber während im Mittelalter Einwanderer und
Ursitzer durch den gemeinsamen übernationalen Glauben geeinigt waren, kamen
nun mit den fremden Nationen auch fremde Glaubensweisen ins Land. Namentlich
die einwandernden Niederländer unterschieden sich von der lutherisch-reformierten
Landesbevölkerung; sie waren bis auf eine geringe Minorität von Lutheranern
entweder Kalvinisten oder Taufgesinnte. Während Kalvinisten sich zunächst wenig
bemerkbar machten, hören wir im Laufe des 160. Jahrhunderts sehr viel von
Taufgesinnten, die in der Mehrzahl der Richtung Menno Simons angehörten,
in der Minderzahl auch Anhänger des David Joris waren. Vor allem in Eider—
stedt, aber auch in der Kremper und Wilsterer Marsch, ja sporadisch fast in allen
Gegenden Schleswig-Holsteins mit Ausnahme etwa des dänischen Nordens tauchen
„Anabaptisten“ auf, welche zugleich als Widersacher der lutherischen Sakraments—
auffassung, als „Sakramentierer“ anzusehen waren.
22) Vgl. die entsprechenden Schulordnungen bei Rendt.