Full text: 1517 - 1721 (2)

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B. 2, K. 6, 9 47. „Fremde Religionsverwandte“ 
1. Es handelt sich keineswegs um individuelle Religionsfreiheit im modernen 
Sinne, sondern lediglich um bestimmte Ansnahmen von der allge— 
meinen Regel. Die Regel blieb eben die allgemeine, allein voll berechtigte 
lutherische Landeskirche. Die besonderen „Privilegien“, durch welche bestimmten 
Religionsgemeinschaften bestimmte Orte zur Ausübung ihrer Zeremonien ein— 
geräumt wurden, enthielten zugleich starke Beschränkungen. Vor allem mußten 
die fremden Konfessionsverwandten sich aller Propaganda unter den Bekennern 
der Landesreligion, daher auch jeder abfälligen Bemerkung über diese und aller 
„Winkelversammlungen“ und privaten Gottesdienste an den nicht privilegierten 
Orten enthalten. Alles äußerliche Hervorkehren ihrer Sonderreligion (Türme, 
Glocken, Prozessionen) war ihnen auch in den Freistädten verboten. Ministerial— 
handlungen (Taufe, Trauung, Abendmahl, Bestattung) durften sie nur in den 
privilegierten Orten und an ihren Glaubensgenossen vornehmen. Wenn also 
jemand eine Ministerialhandlung in seiner Sonderkonfession begehrte, mußte er 
sich, und wenn es auch eine noch so weite Reise galt, an den dafür angewiesenen 
Ort begeben; nur in Krankheits- und Sterbefällen war es den betreffenden 
Religionsdienern erlaubt, sich außerhalb ihres Ortes zu ihren Genossen zu begeben. 
Wo beides ausgeschlossen war, mußten sich auch die Religionsfremden an den 
lutherischen Ortsgeistlichen halten und wie es scheint, in allen Fällen an ihn 
die ortsüblichen Gebühren entrichten. Was das Begräbnis betrifft, so war es 
allgemein üblich und erlaubt, das die Religionsfremden auf dem Kirchhofe ihres 
Wohnorts begraben und sogar auf Wunsch von Prediger und Schulkindern des 
Orts zur letzten Ruhe beqleitet wurden, freilich gegen doppelte Gebühr. 
Eine besondere Gesetzgebung erheischten die Mischehen. Solche bedurften 
einer besonderen landesherrlichen Dispensation'), konnten (außer in Altona) nur 
von den landeskirchlichen Geistlichen vollzogen werden und wurden nur unter der 
ausdrücklichen Bedingung gestattet, daß alle aus der Ehe zu erwartenden Kinder 
in der Landesreligion erzogen würden?). 
Besonders charakteristisch für die Auffassung der damaligen Zeit ist, daß der 
Landesherr sich auch in bezug auf seine andersgläubigen Untertanen als 
höchsten Gesetzgeber und Richter auch in geistlichen Dingen fühlte, wie 9 2 des 
Dänischen Kongelovs von 1005 (vgl. oben S. 195) es ausdrücklich aussprach“). 
Dieser Auffassung entsprach es, daß der lutherische Generalsuperintendent ein ge— 
wisses allgemeines Aufsichtsrecht über die fremden Religionsverwandten besaß und 
bei behördlichen sie betreffenden Verhandlungen regelmäßig das Referat hatte. 
Auch gestattete der König-Herzog ebensowenig wie z. B. der Grosie Kurfürst 
) . Im 18. Jahrhundert wurde die Ehe eines lutherischen mit einem reformierten oder 
herrnhutischen Einwohner auch ehne solche Dispensation gestattet. 
2) Was man heute vielfach den Katholiken zum Vorwurf macht, war also einst bei uns, wie 
übrigens in den meisten evangelischen Landen, Gesetz. Vgl. Joseph Freisen, der katho— 
lische und protestantische Parochialzwang und seine Aufhebung in Osterreich und den deutschen 
Bundesstaaten. Ein Beisriel zur Rechtsgeschichte der Toleranz. Paderborn 1906.. 
*) Wie stark u. U. der theokratische Fürst dies Recht in Anspruch nahm, zeigt folgender Vor— 
fall: Als der Prediger der deutsch-reformierten Gemeinde zu Ahtona des Socinianismus 
beschnldigt wurde und nach Holland ging, um sich vor einer dertigen Synode von dieser Auklage 
zu reinigen, sah König Christian V. dies als eine Verletzung seiner Episkopalrechte an und 
erlies am 6. Sertember 1000 ein Kanzleischreiben an den Präsidenten in Altona, dasi künftig 
die reformierten Prediger nur dem Könige von ihrer Lehre Rechenschast zu geben hätten und 
sich ohne Ahndung vor kein anderes Forum stellen sollten (Bolten Jl, 257).
	        
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