Full text: 1517 - 1721 (2)

Bd. 1, 9 4. Melchior Hoffmann 
Profeten. Der innere Gegeusatz, in dem er zu diesem stand, ist ihm sowohl wie 
dem Reformator zunächst noch nicht klar gewesen: was bei Luther nur eine 
Seite seines reichen religiösen Geistes war, das mystische Element, das Geist 
christentum, der religiöse Individualismus, dies Element, das bei Luther durch ein 
gesundes und starkes kirchliches Gemeinschaftsgefühl in Schranken gehalten wurde, 
war bei Hoffmann das eigentliche Wesen seiner Religiosität und trat als solches 
je länger desto mehr hervor. Das führte schließlich zum Bruch. Eine starke Ueber— 
heblichkeit, eine ungezähmte Leidenschaftlichkeit mag man an diesem „Schwärmer“ 
tadeln; an der Aufrichtigkeit seiner 
Frömmigkeit, an der Lauterkeit und 
dem Ernst seiner ethischen Persön— 
lichkeit ist kein Zweifel möglich; 
seines furchtlosen Bekennermutes 
haben wir in Ehren zu gedenken. 
Es war vermutlich sein Ge 
werbe, das ihn 1523 nach Lief 
tvand trieb. Dort hatte die refor 
matorische Bewegung bereits kräf 
tig Fuß gefaßt, das Feld war weisi 
zur Ernte, aber der Arbeiter we 
nige. So ergab es sich von selbst, 
daß der innig gläubige, mit einer 
faszinierenden volkstümlichen Be— 
redsamkeit ausgestattete Laie zum 
Prediger und Evangelisten wurde. 
In dieser norddeutschen Kolonie 
wird der Süddeutsche auch das für 
seine spätere Wirksamkeit so wich— 
tige Niederdeutsch sich angeeignet 
haben. Er predigte zunächst in 
Wolmar, dann in Dorpat. Als es 
dort zu Bilderstürmen und Tumul— 
ten gekommen war, beschloß der 
Rat, dem Kürschner die weitere 
Ausübung des Lehramtes nur dann zu gestatten, wenn er durch ein von aner— 
kannten theologischen Autoritäten ausgestelltes Zeugnis die Richtigkeit seiner 
Lehre ausweise. Hoffmann wandte sich gleich an die höchste Autorität: er reiste nach 
Wittenberg Mitte 1525). Hier wußte er Luther und Bugenhagen derart 
von sich einzunehmen, daß er nicht nur von jenem das verlangte Zeugnis') erhielt, 
sondern auch ihrem Briefe an die Liefländer (bei de Wette, Luthers Briefe III, 3; 
Erl. Ausg. Bd. 53, S. 315 ff.) ein pastorales Sendschreiben an die 
„ristliche gemey zu Derpten ynn Lieflandt“ beifügen durfte'“). In dieser seiner 
Erstlingsschrift zeigt er sich als Anhänger Luthers durch seine Lehre von der Recht— 
fertigung durch den Glauben und von der absoluten Praedestination, auch durch 
seine Ablehnung der Bestrebungen Münzers; andererseits aber tritt auch schon hier 
seine chiliastische Tendenz und sein übermäßiges Allegorisieren der Schrift hervor. 
1) Vgl. Luthers Brief an Amsdorf vom 18. Mai 1527. 
2) Zu lesen bei BV. N. Krohn, Gesch. der ... Wiedertäufer, S. 51 ff.
	        
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