Bd. 1, 9 4. Melchior Hoffmann
Profeten. Der innere Gegeusatz, in dem er zu diesem stand, ist ihm sowohl wie
dem Reformator zunächst noch nicht klar gewesen: was bei Luther nur eine
Seite seines reichen religiösen Geistes war, das mystische Element, das Geist
christentum, der religiöse Individualismus, dies Element, das bei Luther durch ein
gesundes und starkes kirchliches Gemeinschaftsgefühl in Schranken gehalten wurde,
war bei Hoffmann das eigentliche Wesen seiner Religiosität und trat als solches
je länger desto mehr hervor. Das führte schließlich zum Bruch. Eine starke Ueber—
heblichkeit, eine ungezähmte Leidenschaftlichkeit mag man an diesem „Schwärmer“
tadeln; an der Aufrichtigkeit seiner
Frömmigkeit, an der Lauterkeit und
dem Ernst seiner ethischen Persön—
lichkeit ist kein Zweifel möglich;
seines furchtlosen Bekennermutes
haben wir in Ehren zu gedenken.
Es war vermutlich sein Ge
werbe, das ihn 1523 nach Lief
tvand trieb. Dort hatte die refor
matorische Bewegung bereits kräf
tig Fuß gefaßt, das Feld war weisi
zur Ernte, aber der Arbeiter we
nige. So ergab es sich von selbst,
daß der innig gläubige, mit einer
faszinierenden volkstümlichen Be—
redsamkeit ausgestattete Laie zum
Prediger und Evangelisten wurde.
In dieser norddeutschen Kolonie
wird der Süddeutsche auch das für
seine spätere Wirksamkeit so wich—
tige Niederdeutsch sich angeeignet
haben. Er predigte zunächst in
Wolmar, dann in Dorpat. Als es
dort zu Bilderstürmen und Tumul—
ten gekommen war, beschloß der
Rat, dem Kürschner die weitere
Ausübung des Lehramtes nur dann zu gestatten, wenn er durch ein von aner—
kannten theologischen Autoritäten ausgestelltes Zeugnis die Richtigkeit seiner
Lehre ausweise. Hoffmann wandte sich gleich an die höchste Autorität: er reiste nach
Wittenberg Mitte 1525). Hier wußte er Luther und Bugenhagen derart
von sich einzunehmen, daß er nicht nur von jenem das verlangte Zeugnis') erhielt,
sondern auch ihrem Briefe an die Liefländer (bei de Wette, Luthers Briefe III, 3;
Erl. Ausg. Bd. 53, S. 315 ff.) ein pastorales Sendschreiben an die
„ristliche gemey zu Derpten ynn Lieflandt“ beifügen durfte'“). In dieser seiner
Erstlingsschrift zeigt er sich als Anhänger Luthers durch seine Lehre von der Recht—
fertigung durch den Glauben und von der absoluten Praedestination, auch durch
seine Ablehnung der Bestrebungen Münzers; andererseits aber tritt auch schon hier
seine chiliastische Tendenz und sein übermäßiges Allegorisieren der Schrift hervor.
1) Vgl. Luthers Brief an Amsdorf vom 18. Mai 1527.
2) Zu lesen bei BV. N. Krohn, Gesch. der ... Wiedertäufer, S. 51 ff.