Dithmarschen vor der Reformation
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Verhältnismäßig frih kam es in Ditmarschen zu freier reformatorischer
Predigt und Verbreitung der Schriften Luthers. Wenn dennoch — so führt
Rolfs (BuMe5, S. 320 ff.) aus — die Reformation langsamer und unter
größeren Schwierigkeiten vor sich ging, als man bei dem Freiheitssinn der Dith—
marscher hätte erwarten sollen, so hatte das seine besonderen Gründe.
Zunächst scheint in diesem freien Volke der alte Glaube tiefere Wurzeln ge—
schlagen zu haben als anderswo in unserm Lande. Gerade in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts stand das kirchliche Leben hier in hoher Blüte. Nicht
weniger als fünf Kirchen und Kapellen wurden in dieser Zeit erbaut: in Varlt,
Heide, Schlichting, St. Annen und Windbergen. Noch 1500 wurde infolge
eines in der Schlacht bei Hemmingstedt getanen Gelübdes dort ein Nonnen—
kloster und, da sich für dasselbe unter den Dithmarscherinnen nicht genügend
Bewerberinnen finden wollten, statt dessen noch 1517 in Lunden ein Franziskaner—
kloster errichtet. Wohlhabende Dithmarscher machten weite Wallfahrten, und im
dande selbst lockten wundertätige Orte wie Windbergen und Vurg. Ablasikrämer
machten hier noch 1810 die besten Geschäfte, und die Zahl der Heiligenaltäre und
daher auch der Geistlichen war groß (etwa 150 statt heute 38 Pastoren).
Dazu kam, daß man auch aus politischen Gründen, weil man nämlich von
seiten der benachbarten weltlichen Fürsien stets feindlicher Einfälle gewärtig sein
musite, an der alten kirchlichen Verbindung mit dem Bremer Erzbischef festhielt,
und daß die Landesregenten, die sog. Achtundvierziger, sowohl aus echt bäuerlichem
Konservatismus wie um der von außen stets drohenden Gefahr willen vor allem
darauf bedacht waren, die Ruhe im Lande aufrechtzuerhalten.
Der fromme katholische Glaube der Bevölkerung und die Anhänglichkeit an
den Bremer Erzbischofsstuhl hinderten freilich nicht, daß es im Beginn der
Reformationszeit zu einem gewaltigenjuristischen Kampfe zwischen
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dem Hamburger Dompropsten kam. Der Prozeß ging an das Reichskammer—
gericht und hat mindestens noch bis 18560 gedauert (Rolfs), um endlich, wie
so viele derartige Rechtsgänge, resultatlos zu verlaufen').
In der Tat erlaubten sich die Hamburger geistlichen Herren den Dithmarschern
gegenüber, wahrscheinlich, weil sie nur ein Bauernvolk waren und kein fürstlicher
Herrscher Wacht hielt, die übelsten Erzesse: schandbares Benehmen des pröpst—
lichen Offizials bei den jährlich stattfindenden Visitationen',, Vergebung der
Pfarrstellen gegen Zahlung unmäßiger Pensionen und ihre Besetzung mit un
Harro Jessen (Carl Fr. Fleischer, Leiprig). Ueber die Persönlichkeit des Chronisten H. Heessch
in BumM. 5, 345—57. Die beste und zuverlässigste Darstellung hat die Reformationsgeschichte
wie auch die nachreformatorische Kirchengeschichte) Ditmarschens gefunden bei dem 1026 ver—
storbenen Chaus Chr. Rohlfs, l. in St. Annen (1883 — 93), dann in Hover, Dr. theol.
h. c. Seine Aufsatze in unsern VuMe(Heft 1. S. 1ff.; Bd. 5. S. 314 jĩ.: Bdo. 4, S. 143 7f.)
liegen meiner Darstellung vor allem zu Grunde.
*) Urkunden iu diesem Prozest s. bes. im Staatsb. Mag. VIII, S. 311- 42 (A. Michel
sein), sowie in Rohf's, Urkundenbuch zur Kirchengesch. Dithmarschens (Schrr. 12), Kiel 1922.
) Die — Unverfrorenheit des letzten Offizials (Johann Funk) ging so weit, daß er bei den
Vistiationsmahlzeiten der Hure, mit der er in der Nacht das Bett geteilt hatte, den Ehrenplatz
an seiner Seite gab. Und wie der Herr, so das Gescherr: „der Priester Kökschen pflegten im
Lande Ditmarschen bei ihren Kirchherrn und Priestern bei Tische obenan zu sitzen, nicht allein
in ihren eigenen Häusern, sondern auch auf Hochzeiten, Kindelbieren und andern ehrbaren Gast .
mahlen“ (Rolss. Urkundenbuch S. 228. 250).