Full text: Die Juden und das Wirtschaftsleben

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man den Weg, den man eingeschlagen hatte, umgekehrt 
gehen muß: daß man erst versuchen muß, bestimmte seelische 
Eigenarten bei bestimmten Menschengruppen herauszufinden, um 
dann die somatischen Merkmale, die man bei dieser selben 
Gruppe beobachtet hat, in Parallele mit den seelischen Eigen- 
arten zu stellen und so durch. konstante Vergleichung der beiden 
Reihen vielleicht zu gesetzmäßigen Korrelatverhältnissen durch- 
zudrimgen. Voraussetzung für die Anwendung dieses wissen- 
schaftlich allein einwandfreien Verfahrens ist aber natürlich 
eine wohlgegründete und wissenschaftlich gefestigte‘ Kollektiv- 
psychologie. 
Und diese sollte wirklich ein unlösbares Problem sein? Ich 
glaube doch nicht. Wenn wir nämlich die Einwände, die gegen 
sie erhoben werden, genau prüfen, so finden wir doch bald 
heraus, daß sich alle Bedenken nur gegen eine fehlerhafte Ver- 
wirklichung, nicht aber grundsätzlich gegen die Kollektivpsycho- 
logie überhaupt richten. Ist hier auch nicht der Ort, in allen 
Einzelheiten die Möglichkeit einer Kollektivpsychologie : nach- 
zuweisen, so will ich doch zum besseren Verständnis dessen, was 
ich über den besonderen Fall zu sagen habe, wenigstens einige 
Hinweise geben, wie man etwa sich eine Wissenschaft der 
Kollektivpsychologie zu denken hätte. ; 
Was wir erfahren möchten, ist die seelische Eigenart einer 
Gruppe von Menschen. Ich sprach deshalb von Kollektivpsycho- 
logie im Gegensatz zur Individualpsychologie, aber auch zu dem, 
was man” neuerdings als Sozialpsychologie bezeichnet, mit. der 
die Kollektivpsychologie nicht zu verwechseln ist. Jene, die in 
letzter Zeit eine Reihe beachtenswerter Bearbeitungen erfahren hat 
(Eulenburg! Simmel! und doch ‚auch Wundt, trotz 
seiner andern Terminologie), und die ihrer viel größeren Jugend 
ungeachtet der wissenschaftlichen Reife viel näher steht als ihre 
ältere Schwester, setzt sich ja zur Aufgabe, diejenigen seelischen 
Erscheinungen festzustellen und zu analysieren, die aus der Tat- 
sache der Vergesellschaftung ’sich ergeben; diese dagegen will 
alle seelische Eigenart der Gruppe erfassen. Und es erhebt sich 
nun.die erste gewichtige Frage: welchen Sinn es hat, von einer 
Gruppe von Menschen bestimmte Seeleneigenschaften auszusagen. 
Was es also bedeutet, wenn wir etwa urteilen: die Deutschen 
sind gemütvoll; die Slawen sind musikalisch; das Proletariat ist
	        
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