386 —
Heute lächeln wir über diese Naivität. Aber haben wir
das Recht dazu? Verfahren unsere ‚„Rassensystematiker‘“ nicht
viel naiver, viel willkürlicher? Auch wenn sie mit noch soviel
Schädelmaßen um sich werfen? Ist denn der Unfug nicht
geradezu unerhört, der mit der Lang-Schädel-Kurz-Schädeltheorie
getrieben worden ist und immer‘ gelegentlich noch getrieben
wird? Sollte man es überhaupt für möglich halten, daß allen
Ernstes ein Zusammenhang zwischen Schädelform und Art und
Maß der Kulturfähigkeit aufgestellt werden konnte, ohne die
Probleme der Gehirnanatomie und Gehirnfunktionen auch nur
mit einem Gedanken in Rücksicht zu ziehen? Mit solchen
Hypothesen: der Langschädel ist ein. Herrenmensch, der Kurz-
schädel ist ein Sklavenmensch, ging man ja, ohne es zu ahnen,
weit hinter den alten Gall zurück. ;
Nach den neuesten Untersuchungen Nyströms u. a. wird
nun wohl der Lärm der Dolichozephalomanen etwas verstummen.
Aber es hätte eigentlich derartiger Feststellungen nicht be-
dürfen sollen, um die Windigkeit der Schädelkulturtheorien auf-
zudecken. Man hätte den Herren einfach zurufen ‚sollen: bitte,
erbringt Ihr erst den Beweis, daß zwischen Schädelform (und
natürlich ebenso zwischen Fußsohlen- und Nasenform: es gibt
bekanntlich auch Nasen - Kulturtheoretiker) und menschlich-
geistigem Wesen ein irgendwelcher Zusammenhang besteht.
Oder soll man den Versuch eines solchen Beweises in den
bekannten Worten Chamberlains erblicken: Den germa-
nischen Langschädel habe „ein ewig schlagendes, von Sehn-
sucht gequältes ‚Gehirn aus der Kreislinie des tierischen Wohl-
behagens hinaus gehämmert‘‘? Zweifellos steckt in diesen
Worten eine ganze Menge recht poetischen Empfindens, und
niemand, der sich ein empfängliches Gemüt bewahrt hat, wird
der - eindrucksvollen Wucht dieses Gedankens sich entziehen
können. Aber ein „Beweis‘‘? Mit genau demselben Recht —
wenn die neueren Untersuchungen richtig sind, wonach der
Kurzschädel durch starke geistige Arbeit sich aus dem Lang-
schädel herausbilden soll, sogar mit größerem Recht; es gibt
jetzt in der Tat schon‘ einen Brachyzephalen-Stolz! — ‘könnte
ein Brachyzephalomane etwa sagen: „den von ungebändigten
Naturtrieben nach vorn hinaus gedrängter! Langschädel führt die
gefestigte ‘Geistigheit, die zur Harmonie durchgedrungene Seelen-