Full text: Die Juden und das Wirtschaftsleben

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halb der Judenschaft fühlten, und die sich durch die andringende 
Schar der sozial tiefer stehenden Östlinge in ihrer gesellschaft- 
lichen Stellung bedroht sahen, oft genug zum Ausdruck. ' 
So setzten im Jahre 1761 die portugiesischen Juden (oder 
Marranen) in Bordeaux einen dringenden Befehl durch: daß 
sämtliche fremde Juden innerhalb‘ 14 Tagen Bordeaux zu ver- 
lassen hätten. Pinto und Pereira waren dabei die treibenden 
Kräfte; sie boten alles auf, um die „Landstreicher‘‘ — ihre 
eigenen Glaubensgenossen aus Deutschland und Frankreich — 
sobald als möglich los zu werden 91, 
Wie in Hamburg die sephardischen Juden gleichsam eine 
Aufsichtsbehörde gegenüber den Aschkenazim bildeten, die dafür 
zu sorgen hatte, daß diese keine Schmutzereien im Handel und 
Verkehr verübten, haben wir in einem andern Zusammenhang 
schon in Erfahrung gebracht. 
Das Gefühl der Gegensätzlichkeit, das wie gesagt haupt- 
sächlich von den Sephardim genährt wurde, hatte seine Wurzeln 
vor allem, wie auch schon angedeutet wurde, in dem Gegensatz 
der sozialen Stellung. Es wurde aber genährt durch ein stark 
aristokratisches Bewußtsein, das die Sephardim erfüllte, weil sie 
sich von edlerer Herkunft als die Aschkenazim wähnten: wollten 
sie doch sämtlich von ‘den edelsten Familien des Stammes Juda 
ihre‘ Abstammung ableiten und waren sie doch von dem echten 
Blutsstolze erfüllt, daß diese edle Abstammung für sie in Spanien 
und Portugal von jeher ein Antrieb zu großen Tugenden und 
ein Schutz vor Lastern und Niedrigkeit gewesen sei. 
„L’idee, ol ils sont assez generalement, d’etre issus de la 
Tribe de Juda, dont ils tiennent que les principales familles 
furent envoyees en Espagne du temps de la captivite de Ba- 
bylone, ne peut que les porter ä ces -distinctions et contribuer 
A cette Elevation de sentimens qu’on remarque en eux‘“ %2, 
Das gibt zu denken. Und veranlaßt uns vielleicht, die Be- 
deutung des Ghetto für die Entwicklung des Judentums richtiger 
einzuschätzen als bisher. Jene Auffassung der ‚sephardischen 
Juden von Würde und Haltung als höchste Tugenden weist auf 
die Möglichkeit hin, daß diese Lebensanschauung, die den Gegen- 
satz gegen alles Aschkenazische deutlich empfand, wohl gar die 
Ursache war, weshalb die spanisch-portugiesischen Juden kein 
Ghetto gehabt haben, und nicht die Wirkung dieser Tatsache.
	        
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