Gironde war der Gegensatz zum Zynismus der Maratisten. — Das schon verwundete
Herz Charlotte Cordays fühlte alle Streiche, die das Vaterland trug, und sammelte sich
in Schmerz, Verzweiflung und Mut. Sie sah das Verderben Frankreichs, sie sah die Opfer,
sie glaubte, den Tyrannen zu sehen. Sie leistete sich selber den Schwur, zu rächen, zu
strafen und zu retten. —
Das Gemach war schwach erleuchtet. Marat war im Bad. Ein schlecht gehobeltes Brett,
das tiber die Badewanne gelegt war, bedeckten Papiere, offene Briefe und angefangene
Blätter. Er hielt in der rechten Hand die Feder, die bei dem Eintritt der Fremden inne-
gehalten hatte. Er schrieb einen Brief an den Konvent, worin er den Prozeß und die Ächtung
der letzten in Frankreich geduldeten Bourbonen forderte. Neben der Badewanne stand
auf einem ungeheuren Bloc aus Eichenholz ein bleiernes Schreibzeug von der gröbsten
Arbeit, die unreine Quelle von Wahnwitz, Denunziationen und Blut, die seit drei Jahren
1oß. Marat, der mit einem schmutzigen, tintenfleckigen Tuch bedeckt war, hatte nur den
Kopf, die Schultern, die obere Brust und den rechten Arm aus dem Wasser. Nichts in den
Zügen des Mannes war von der Art, daß es den Blick einer Frau hätte rühren und dem
Stoß hätte Einhalt tun können. Die fettigen Haare waren mit einem schmutzigen Taschen-
tuch umwunden. Die Stirn floh nach hinten, tiefliegende Augen, hervorspringende Backen-
knochen, der Mund von ungeheurer Größe, die Brust haarig, die Glieder hager, die Haut
gelb: so war Marat. Charlotte vermied es, ihn zu betrachten, um nicht den Abscheu ihrer
Seele zu verraten, Sie stand mit gesenkten Augen und wartete, daß Marat sie über die
Lage in der Normandie ausfrage. Sie antwortete kurz und so, wie er es haben wollte. Er
verlangte von ihr sofort die Namen der nach Caen geflohenen Deputierten. Sie gibt sie
ihm an, er zeichnet sie auf und bemerkt mit dem Ton eines Mannes, der seiner Rache sicher
ist: „Es ist gut. Ehe acht Tage vergangen sind, werden sie alle auf die Guillotine gehen.“
Als ob ihre Seele noch auf ein letztes Verbrechen gewartet hätte, zieht jetzt Charlotte das
Messer und stößt es mit übermenschlicher Kraft bis ans Heft in Marats Herz. Mit der
gleichen Bewegung reißt sie das blutige Messer aus dem Körper des Opfers und läßt es
fallen. „A moi! ma chere amie! A moi!“ schreit Marat und stirbt.
Der Karren hielt an. Beim Anblick der Guillotine erblaßte Charlotte. Doch rasch faßte
sie sich und erstieg die schlüpfrigen Stufen des Schafotts mit so festem und leichtem Schritt,
wie ihr nachschleppendes Hemd und ihre gebundenen Hände es gestatteten. Als der Scharf-
richter das Tuch abriß, das ihren Nacken dec&te, um ihren Hals zu entblößen, setzte die
beleidigte Scham sie in größere Aufregung als der nahe Tod. Aber bald gewann sie ihre
Heiterkeit wieder und ein fast fröhliches Hindrängen zur Ewigkeit und legte selbst den
Hals unter das Beil. Ihr Kopf rollte und sprang zurück. Einer der Henkersknechte nahm
den Kopf und ohrfeigte ihn. Charlottens Wangen, sagt man, erröteten.