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5. List
ohne Beziehung auf den Täter. „Die junge Seherin riß er mit sich
ins Verderben.““
Wir sahen also, daß Pindar List und Gewalttat dieses Weibes
verabscheut. Hinter der grausamen Verbrecherin ersteht V. 19
das lichte Mädchenbild der Kassandra, die dem Dichter hier nicht
weniger am Herzen zu liegen scheint als Agamemnon (vgl. S. 32),
Wohl ohne eigene Neigung hat er die düsteren Vorgänge erzählt
und nicht die Rückkehr des Orestes, der sein Recht fordert. Dieses
Motiv hätte Bilder liefern können, die Pindars sonstigen Stoffen
gemäßer gewesen wären (vgl. Iasons Rückkehr P. 4, 78ff.). Orestes
steht in P. 11 durchaus im Hintergrund.
N. 5, 26ff. erfahren wir von dem Anschlag der Hippolyta auf
Peleus, wo Pindars Worte ähnlich gelinde wie in P. 11 sind. Die
Musen sangen, heißt es V. 25, von Thetis und Peleus,
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äßod ist Hippolyta genannt. Offensichtlich soll das Beiwort an
dieser Stelle nichts Rühmendes von ihr aussagen, sondern es ist
abschätzig gemeint: „von üppiger Sinnlichkeit‘. Doch ist wieder
für Pindar bezeichnend, daß er einen Ausdruck wählt, der meist in
positivem Sinne gebraucht wird, Das Wort, das bei den Dichtern des
äolisch-jonischen Kulturkreises Personen; besonders Frauen, erhöhten
Wert gibt!), wird in Boiotiens dorischem Klima seines anmutigen
Gehalts beraubt und dient an unserer Stelle zur ersten Charakterisie-
rung einer Ehebrecherin. äßodrtns ist für den Dichter der sehnigen
Kyrene kein Schmuck, dßod Kondels steht geuvdy Oetw im Vers
vorher entgegen. Der Meernymphe wird lediglich zum Kontrast
ein feierlicher Zug gegeben. Hippolyta wollte Peleus „mit List
1) Vgl. Sappho 90; Alkaios 74, 8; Anakreon 28; Aischyl. Fr. 313;
Soph. Trach. 523.