Full text: Mädchen und Frauen in Pindars Dichtung

Einleitung 
Das Thema dieser Arbeit könnte manchen Pindarkenner be- 
fremden. Scheint doch die Frage nach der Darstellung des Weibes 
auf den ersten Blick nur mechanisch von anderen Dichtungs- 
gattungen, wo sie schon erfolgreich aufgeworfen ist, auf diesen 
Chorlyriker übertragen worden zu sein. Gibt es bei Pindar so etwas 
wie die Nausikaa Homers, die Klytaimestra des Aischylos, eine 
Dido, eine Königin Elisabeth? Gibt es überhaupt gestaltete Men- 
schen bei diesem Dichter, der Preislieder auf Sportsiege schrieb 
und darin Sentenzen und einzelne Bilder mythischer Areta flocht 
und dessen Dichtung eine gewisse Losgelöstheit vom Realen eigen 
ist, die sich am sichtbarsten in der Sprache äußert? Unwirklich 
ist es doch, wenn eine große Anzahl Männer oder Knaben „ich‘“ 
singt und der Dichter allein gemeint ist (z. B. P. 5, 72) oder wenn 
der Chor im Imperativ jemanden anruft, der wiederum nur der 
Chor selber sein kann (z. B. O. 9, 109). Unwirklich sind in Liedern, 
die tagelang von einer Gemeinschaft einstudiert sind, Redensarten 
wie P, 10, 51 xdrav oydooy „Halte das Ruder an‘, d. h. „ich er- 
zähle nicht weiter‘, oder N. 3, 26 #vu&, tiva xo0s Ähodandy äxpay 
Eu6v xAdov apayelißearı; „Mein Herz, zu welchem fremden Vor- 
gebirge lenkst du meinen Kurs ab?‘“, d. h. „zurück zur Sache‘, 
Diese durchgängige Unwirklichkeit, dazu die harte und spröde 
Sprache scheint einem Weibe gar nicht gerecht werden zu können. 
Das Monumentale und Repräsentative und gerade darum eine ge- 
wisse Kühle in Pindars Kunst empfand wohl der junge Goethe, 
wenn er 1772 in Wetzlar schrieb: „„Ich wohne jetzt in Pindar, und 
wenn die Herrlichkeit des Pallasts glücklich machte, müßt ichs 
sein.“ Gibt es in diesem Palast, so müssen wir uns fragen, überhaupt 
Menschen von Fleisch und Blut? Frauen, die für uns zu Gestalten 
werden? Tatsächlich ist die Chorlyrik für eine Untersuchung über 
Frauen die am wenigsten ergiebige Literaturgattung. Und daß 
Pindars Gedichte wiederum innerhalb der Chorlyrik in dieser Hin- 
Ahlert, Mädchen und Frauen in Pindars Dichtung
	        
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