Nichtachtung der Frau?
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V. 187f. Diese Betonung der Verschiedenheit der Geschlechter ent-
spricht den tatsächlichen attischen Verhältnissen, die Aischylos
unbesehen auf die Boioterinnen überträgt. Mann und Weib werden
nicht nur geschlechtlich polar gesehen, sondern in jeder Hinsicht.
Dagegen finden wir bei Pindar an keiner Stelle derart abfällige
Urteile über das weibliche Geschlecht!). Das kommt daher, daß
für ihn eine entsprechende Kluft gar nicht besteht. Seine bedeu-
tendsten Frauen beschäftigen sich auf männliche Art, wie auch im
folgenden noch zu zeigen sein wird. Und der Dichter ist stolz auf
seine heroischen Mädchen und Frauen. Wenn Aischylos Frauen-
gestalten dem männlichen Geschlecht annähert, kommen Mörde-
rinnen heraus wie Klytaimestra mit dem ärögdßovlov xsag (Ag. 11)
und die Danaiden. Beiden muß er, weil sie töten, die Achtung ver-
sagen. „Seine Sympathie gilt ohne Zweifel der sanften und. füg-
samen Art ionischer Frauen, für die in den Danaiden Aphrodite
sich einsetzt, nachdem Danaos schon zuvor seine Töchter zur Sitt-
samkeit ermahnt hat?%).‘“ Pindar andererseits, in dem noch die
aristokratischen Ideale der Einwanderungszeit wirksam zu sein
scheinen ®), trägt das Bild der frühen Dorerin“*) in sich, und im
Mythos von P. 9 ist es in die Dichtung eingegangen. Pindar mußte
sich, gemäß der rassischen Zusammensetzung des boiotischen
Volkes®), mit der übrigen dorischen Welt (Aigina, Sizilien, Kyrene)
eng verbunden fühlen. War er doch zudem Angehöriger des the-
banischen Adelsgeschlechtes der Aigiden (P. 5, 72bff.), von dem
in der Vorzeit Glieder nach Lakedaimon (I. 7, 14ff.) und von dort
über Thera nach Kyrene gezogen sind. Die Worte Awo(ı)eüc,
Aweols und 4dgıos kommen also nicht ohne innere Begründung zu-
sammen 17 mal in Pindars Werk vor. So verdanken wir also Kyrene,
4‘) Über Fr. 123, 5 s. S. 42, 2.
?) Schmid, Gesch, d. griech. Lit. 1, 2, 281.
3) „Innerlich altertümlicher als Homer und seine Gesittung‘“ nennt
W. Jaeger (Paideia 1, 272) die Welt Pindars. Vgl. auch Rudolf Borchardt,
Pindarische Gedichte, München 1929/30, S. 149.
4) Aus den kulturellen Zuständen der geschichtlichen Zeit in den
dorischen Ländern lassen sich Schlüsse auf die Stellung der Frau in der
frühen Zeit ziehen. Sie hatte, während der Mann zum Kriege auszog,
das Hauswesen zu verwalten und den Hausherrn zu vertreten; vgl.
Wilamowitz, Staat und Geselischaft der Griechen?, S. 98.
5) Der Urbestand der Bevölkerung von Pindars Heimat sind die vom
Norden eingewanderten Aioler, die sich mit der Urbevölkerung und mit
Dorern vermischten (s. Schmid a. a. O. 1, 1, 577), jedoch, im Gegensatz
zu den Inselaiolern, das rauhe Wesen beibehielten, welches durch das
unwirtliche Klima begünstigt wurde.