Pindars Medeia eine Seherin 26
(4, 1363) 08 & äpga ndvtEs &Udußeov sioatovtes. Die Schlußverse
sind wie die Eingangsverse 9—12 dazu angetan, Medeias geistige
Größe zu betonen; die Männer bewundern ihre Weisheit, Ihr Name
fällt nach der Prophezeiung noch einmal, V. 57, gleichsam mit der
Nennung von V. 9 den Rahmen bildend, hier wie dort ohne jede
Beifügung?!). Daß die Pythia eigentlich die ganze Weissagung
wiedererzählt (V. 6. 9), ist hier vergessen. Medeia ist zur handelnden
Person emporgewachsen, Erst V. 59 werden wir etwas gewaltsam
in die Ausgangssituation zurückgeführt.
Weder sonst in P. 4 noch in irgendeinem anderen Gedicht er-
scheint Medeia in einer gewichtigeren Rolle als in diesen Versen.
Sie hält die längste Rede von allen sprechenden Männern und Frauen
Pindars, Als göttlich inspirierte Prophetin hat der Dichter sie
den Zuhörern vornehmlich vor Augen stellen wollen, nicht als
Liebende oder als Zauberin oder als Mörderin. Von der liebenden
Medeia wird im nächsten Kapitel zu handeln sein. Sowohl die
Zaubermittel wie der Mord an Pelias werden sicherlich in der epi-
schen Darstellung der Sage, auf die Pindar zurückgeht, einen
breiten Raum eingenommen haben?). Sie spielen aber bei Pindar
nur eine nebengeordnete Rolle, Aphrodite hilft Iason in P. 4, Me-
deia für sich zu gewinnen. Diese verrät ihm die Prüfungen, die
Pelias ihm auferlegen will, und gibt ihm ein Stärkungsmittel gegen
die Schmerzen (213—222). V. 233 nennt Pindar sie zaupdouaXOS
Selva. Sie hat aber nichts Unheimliches wie die vorpindarische
Medeia, sondern rettet Iason durch ihre Kunst, vollbringt also eine
edle Tat. Noch kürzer als von der Zauberei spricht der Dichter
von der Tötung des Pelias: Iason „raubte Medeia mit ihrem Willen,
des Pelias Mörderin‘““ (V. 250). Nur mit einem Worte deutet Pindar
die trüben Ereignisse an, die ihm aus der epischen Tradition ver-
traut sein mußten (vgl. RE 15, 39, 57ff.), um gleich zu den weiteren
Schicksalen der Argonauten überzugehen (vgl. S. 85). Die tötende
Rächerin stimmt nicht zu dem Bilde der ehrfurchtgebietenden
Seherin am Eingang des Gedichtes.
!) Wie anders Hesiod dieselbe Person vergegenwärtigt, zeigt Theog.
961. 998, Nur an diesen beiden Stellen ist bei ihm von Medeia die Rede.
Beidemal wird in einem schmückenden Epitheton etwas über ihre körper-
liche Erscheinung ausgesagt. . .
?) Durch die erste Hypothesis zu Eur. Med. erfahren wir, daß Medeia
schon in den Nostoi, bei Simonides, Aischylos und Pherekydes Iason
oder dessen Vater Aison oder die Ammen des Dionysos aufkocht, um sie
miener jung zu machen. Vgl. auch RE 15, 39, 33ff. und Vürtheim, Stesi-
choros 11.