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2. Weissagung
Außer in diesem Paian, wo ihr Name nicht miterhalten ist,
kommt Kassandra nur noch im elften pythischen Gedicht vor, in
dessen Mittelpunkt Klytaimestra steht. Das „unbarmherzige Weib“
mordete die dardanische Tochter des Priamos, Kassandra (V. 19f,)
zugleich mit Agamemnon, V. 31ff, faßt Pindar noch einmal das
Geschehen in gedrängten Worten zusammen: der Atreide fiel und
„zog das mit der Seherkunst begabte Mädchen mit ins Verderben‘“,
udyrw)) rt” Ölsooe x6gar. Auch an diesen Stellen wird nichts Leib-
liches über Kassandra ausgesagt, die im homerischen Epos, wo sie
nur untergeordnet auftritt, ix&in yovoEn ”Aqpodirn (11. 24, 699) und
IToıduot0 duoyaralüy elöog dpiotnN (13, 365), von Ibykos einmal
ravloqvoos (Fr. 3, 11) genannt wird, sondern nur Herkunft und
Vatersname bzw. ihre prophetische Gabe werden erwähnt. Ebenso-
wenig drückt der Dichter sein Mitleid mit der Seherin in einem
Beiwort aus, und doch spüren wir hinter den schlichten Worten,
wie ihn ihr Ende bewegt,
Wir sahen, wie die betrachteten sterblichen Prophetinnen durch
Worte wie äddyartoc und ieods den Göttinnen angenähert wurden.
Die Göttinnen selbst weiß Pindar nicht würdiger zu vergegen-
wärtigen, als indem er sie in wörtlicher Rede weissagen läßt. I, 8,
27ff. wird uns ein Einblick in einen Götterrat gewährt. Zeus und
Poseidon, beide von Liebe zu Thetis entbrannt, hadern mitein-
ander. „Aber nicht für sich erzielten der Götter unsterbliche Ge-
danken die Vermählung‘‘; &xei deogpdtwr Erdxovoay* elne 6° eÖßov-
A0G &v uEdOLOL ÖEpıs (V. 30ff.). Ohne viel Aufhebens von der Göttin
zu machen, führt Pindar sie uns allmählich vor. Auf Orakelsprüche
hörten die Götter. Das Wort geleitet uns langsam in die Nähe der
Orakelgöttin, vertritt zunächst ihre leibliche Person, die ursprüng-
lich nichts anderes ist als die Personifikation des normativen
Spruchs; vgl. Deubner, Arch. f. Relig. 30, 1933, 85. Wir sahen
oben S. 5f., daß Pindar nicht wie die Epiker eine Frauengestalt so-
gleich in den Vordergrund zu stellen pflegt. Das zurückhaltende
Herantasten auf dem Umweg über das Abstraktum d&ogarta wird
in seiner verfeinernden Funktion deutlich, wenn wir uns einmal
vorstellen, Pindar hätte geschrieben E&rei OEurtos Peorlodons
Erdxovoav, Erst im folgenden Satz erscheint ihr Name. Ihn gleich-
sam ankündigend, geht ein Epitheton voran, kein körperliches,
nicht Arzapr (Hesiod Theog. 901) oder xailırdonos (Il. 15, 87),
1) udvzw adjektivisch wie O. 8, 2; I. 6, 51.