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3. Liebe
Eingehender schildert Pindar P. 2, 25—40 das Vergehen des Ixion.
Doch ist auch hier die Schilderung der Tat von Sentenzen über-
wachsen, die der Darstellung viel von ihrer Plastik nehmen und
zeigen, worauf es dem Dichter ankam: auf den lehrhaften Gehalt
des Mythos.
Während in diesen drei Fällen von dem begehrten Weibe kaum
die Rede ist, hat Pindar einmal einen großen Abschnitt eines Mythos
einem Mädchen gewidmet, das durch Liebe zu einer Frevlerin wird,
im dritten pythischen Gedicht. Diese Geschichte verdient nicht
minder als der Kyrenemythos eine eingehende Besprechung. Da
sonst die Frau in Pindars Gedichten nur eine untergeordnete Rolle
spielt, ist es sicher kein Zufall, daß) die beiden Epinikien P. 3
und P. 9 in dasselbe Jahr 474 (vgl. Schroeder 2) fallen. Vielleicht
darf man auf ein persönliches Erlebnis raten, das den Dichter ent-
gegen seiner Gewohnheit dem anderen Geschlecht in zwei Gedichten
den Vorrang geben läßt, wenn man auch nicht gleich „in dem
schönen Kyrenenlied (Pyth. IX) einen Widerschein der Flitter-
wochen‘“ zu suchen braucht wie Schroeder 107,
Wie im Kyrenegedicht ist in P. 3 eine schrittweise vorrückende
Vergegenwärtigung der Mädchengestalt zu beobachten. Über Chiron
und Asklepios hinweg kommt auf sie scheinbar nur beiläufig die
Rede. Bei der Nennung der Tochter des Phlegyas (V. 8) steht ihr
großer Sohn noch ganz im Vordergrund. Vor dessen Geburt starb
die Mutter im Schlafgemach, „von dem goldenen Bogen der Artemis
überwältigt, nach Apollons Plan‘. Die erste Vorstellung, die wir
von dem Mädchen bekommen, ist also sein letztes Schicksal, ein
düsteres Eingangsbild. Wir erfahren noch nicht den Namen, ge-
schweige denn das Aussehen. Wir ahnen nur, daß diesem Tode,
den zwei Götter herbeiführen, ein schweres Verbrechen voraus-
gegangen sein muß. In wohldurchdachter Ringkomposition?) setzt
Pindar das Bild der Büßerin an den Anfang, das ihm also wohl das
Wesentlichste an Koronis war, wie ihm P. 4, 11 das Bild der weis-
sagenden Medeia wert schien, an der Spitze der Erzählung von der
Argonautenfahrt zu stehen.
Die Koronissage war vor Pindar in einer hesiodischen Eoie dar-
gestellt, deren Anfangsworte Strabon erhalten hat (Hes. Fr. 122 Rz.):
iy Nach Wilamowitz’ Ansicht, Pindaros 269, 283,
2) Von Illig S. 50—53 und Klingner, Über Pindars drittes pythisches
Gedicht, Corolla Curtius 1937, 16f. dargelegt.