Geburt
72
Noch einmal leuchtet ein Bild voller Farbenreiz aus Pindars Worten
hervor: Iamos „lag verborgen in Binsen und unter endlosen Dorn-
sträuchern, von gelben und dunkelroten Veilchenstrahlen benetzt
am zarten Leibe‘. Das dunkle Dickicht lacht jetzt mit seinen
Farben den #eig0owr x0D006 (V. 41) an. Pindar dichtet hier mit dem
ganzen Reichtum seiner Phantasie. Die Bilder verwirren sich (vgl.
S. 42). Sonnenstrahlen, Tautropfen, das Leuchten der Blumen
werden eins. Farben, die vorher der gebärenden Euadna Reiz ver-
liehen, geben nun dem Kinde einen Glanz des Wunderbaren, der
sich auch dann nicht trübt, wenn er zur Namengebung benutzt
wird: die Mutter nennt den Knaben, den sie unter za geboren,
"Iayno6.
Sicherlich ist es nicht allein diese Etymologie, die Pindar den
Anstoß zu so ausführlicher Schilderung einer Geburt gegeben hat.
Die Geburtssage betont die Abkunft des Sehergeschlechtes der
Jamiden von Apollon selber. Das ist gewiß ein Grund, die Geburt
des Kindes eingehender zu berichten. Apollon tritt aber ganz zu-
rück hinter der sterblichen Jungfrau, die Mutter des Knaben wird,
Da Pindar solche Bilder intimen weiblichen Lebens sonst nicht
geläufig sind, wird man nicht zu weit gehen, wenn man in dem
Mythos von O. 6 den Niederschlag eines Erlebnisses des Dichters
sieht. Eine Geburt, vielleicht die erste in seinem Hause?), hat ihn
so bewegt, daß er ein mythisches Beispiel aufgreift und mit aller
Kunst, die ihm zu Gebote steht, ausschmückt. Denn daß das, was
den Leser an der eigentlichen Geburtsszene entzückt, Pindars
eigene Schöpfung ist und nicht aus einer vorpindarischen Dar-
stellung der Sage (vgl. Wilamowitz, Isyllos 174) stammt, ist mir
sehr wahrscheinlich. Die Verklärung des realen Vorgangs trägt
Pindars Stempel. Trotz allen warmen Farben der Umgebung ist
Euadna selbst matt gezeichnet; auch das ist pindarisch?). Von
einer Liebe Euadnas zu Apollon ist nicht die Rede, wie man über-
haupt von einer seelischen‘ Beziehung nicht sprechen kann. Euadna
bleibt, hierin mit Koronis vergleichbar, ein passives, mitleid-
boren wurden“. Das ist schon deshalb unwahrsche nlich, weil Pindar die
Kinder bereits V. 14 erscheinen läßt (Z&Aauwar), bevor er von den Rufen
spricht, außerdem aber auch wegen der Parallele, die der homerische
Hymnos bietet.
‘) Die vita Ambrosiana (S. 3 Dr.) bezeugt, daß Pindar sich verheiratet
und einen Sohn und zwei Töchter gezeugt hat.
2) Fehr, Die Mythen bei Pindar, S. 101 findet auch im Aufbau der
Erzählung pindarische Technik,