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4. Die Mutter
lieben Kinder zu retten, denken wir hinzu. Aber das sagt Pindar
nicht. Das Verhältnis der Mutter zum Kinde wird, abgesehen von
der Geburtsschilderung, wo es unumgänglich ist, V. 35 oxAdyyvav
Do MAaTEOOS ... MÖAEV, gar nicht mit Worten berührt. So erscheint
Alkmenes Abwehrversuch nicht ausdrücklich als Tat der Mutter-
liebe, und doch ist er das. Es konnte bei Pindars Wertung des weib-
lichen Geschlechts nicht ausbleiben, daß auch das Bild der Mutter
sich seinem Idealbilde des Weibes, das wir in Kyrene verkörpert
sahen, anglich. Diese pindarische Mutter herzt ihre Kinder nicht
wie die Alkmene Theokrits (24, 60), sondern still und ohne Gefühle
zu äußern tut sie ihre Pflicht, wie es der Vater nicht besser könnte.
Nach der kurzen Erwähnung ihres Handelns (V. 50) tritt sie für
uns wieder in den Schatten, als die Gefahr vorüber ist, um die dem
gewaltigen Sohne geltende Bewunderung (V. 55ff.) nicht zu mindern.
Schon mit diesem Bilde einer Mutter soll kurz das von Simonides’
Danae (Fr. 13) verglichen werden, welches im folgenden noch ein-
gehender besprochen werden muß. Auch dort sieht eine Mutter
sich und ihr Kind in Gefahr. Wie Danae den Arm um Perseus
schlingt, wie sie sich in Gedanken und Worten an der unbekümmer-
ten Ruhe des Knäbleins weidet, nach der auch sie sich sehnt, wie
sie nach einem Anflug von Neid ihm doch den harmlosen Schlaf
gönnt, das alles ergibt ein rührendes Bild von Mutterliebe in der
Stunde der Gefahr. Danae ist zwar durch ihre Lage zur Passivität
gezwungen; doch zeigen ihre resignierten Worte, daß sie nicht wie
Pindars Alkmene handeln könnte, wenn sich die Möglichkeit dazu
böte. An Mütter der Tat vom Schlage Alkmenes müssen wir auch
P, 8, 85ff. denken, wo es von den Knaben, die Aristomenes im
Ringkampf besiegt hat, heißt: „Und als sie zur Mutter kamen,
weckte kein süßes Lachen ringsum Freude. Ihre Gegner meidend,
ziehen sie geduckt die Straßen entlang, vom Unglück gemartert.‘“
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Von dem Negativen müssen wir das Positive abheben, dann sehen
wir, wie der geschmückte junge Sieger zu Hause ankommt und von
allen Verwandten und Nachbarn, vor allem aber von der Mutter
bewundert und beglückwünscht wird. Daß Pindar gerade diese
hier erwähnt, zeugt wahrlich nicht davon, daß er allgemein die
Mutter ignoriert hätte!), sondern beweist, daß er mit dem Begriff
1) Auch ist die angeführte Bemerkung nicht ‚alles, was er von der
Mutter zu sagen weiß‘ (Wilamowitz, Griech. Tragödien 2, 142).