Full text: Mädchen und Frauen in Pindars Dichtung

Pindar und Simonides 
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Mutter an dieser Stelle eine andere Wertung verbindet, nämlich 
die der am Agon interessierten Frau, die vielleicht in ihren Mädchen- 
jahren wie die Spartanerinnen?) selbst an Agonen teilgenommen oder 
wenigstens dabei zugesehen hat. Wenn der Junge, den sie mit Hoff- 
nungen ins ferne Delphi geschickt hat, geschlagen wiederkehrt, dann 
ist ihr Familienstolz gebrochen, und sie findet kein Wort des 
Trostes. So wird der v»dotoc des Knaben zu einem E&yior0s (0. 8, 69). 
Einen derartigen unmütterlichen Zug, wie wir das mit unserem 
modernen, der dorischen Ursprünglichkeit fernen Empfinden 
nennen, trafen wir, allerdings verdeckter, schon im sechsten olym- 
pischen Gedicht in einer im übrigen ganz jonisch-farbenfreudigen 
Szene an (vgl. S. 69). Euadna hat (V. 43) den Iamos geboren, 
tOv EV XyLÖOUEVO Aeine yayal (44). Daß sie das Kind verläßt — 
warum, ist nicht ausgedrückt —, wird niemand Mutterliebe nennen 
wollen, auch wenn sie es xpıCouEva tut. Man muß sich hüten, zu viel 
Empfindung in das Partizip zu legen, und an die besonders in 
dorischen Mythen häufige Kinderaussetzung denken?); dann wird 
man in dem Ausdruck nicht mehr als „obwohl bedauernd‘““ sehen. 
Mit diesem einen kurzen Worte öffnet der Dichter uns das Herz der 
unglücklichen Mutter, Aber er verweilt nicht dabei. Im nächsten 
Satze schon denken wir nicht mehr an Euadna., 
Wie leicht es einem Jonier fällt, aus einer ähnlichen Situation 
eine rührende Szene zu machen, zeigt wiederum Simonides’ Danae- 
fragment. Gemeinsam ist beiden Müttern die Sorge um die eigene 
Zukunft und die eines neugeborenen Kindes, Danae sitzt mit dem 
kleinen Perseus in dem schwimmenden Kasten, während draußen 
die Stürme brausen. Sie läßt in Worten ihren Empfindungen freien 
Lauf (V. 6ff.). Pindars Euadna dagegen ist gar nicht so weit in den 
Vordergrund gerückt, daß sie selbst spricht. Nachdem V, 39ff. ihre 
Niederkunft ausführlich geschildert und ihr Kummer bei der Aus- 
setzung (V. 44) kurz erwähnt ist, tritt sie ins Dunkel zurück, Danach 
erscheint sie nur V. 56 noch einmal, um Iamos’ Namen zu be- 
stimmen. Man stelle sich vor, Euadna begänne zu sprechen: „Armes 
Kind, du ruhst so unwissend im Gras; Not harrt unser beider“, 
und man wird erkennen, wie gerade das Schweigen dieser pinda- 
rischen Frauengestalt ein eigenes Ethos gibt: Überwindung senti- 
1) Vgl. RE 7, 2041, 40ff. 
2) Durch das Schol. zu V. 48a. 52f. erfahren wir von einer Sagen- 
version, die Pitana ihre Tochter Euadna aussetzen ließ. Das Motiv der 
Aussetzung spielte also ursprünglich in der Iamossage eine noch größere 
Rolle; vgl. Preller-Robert, Griech. Heldensage 1, 205, 6.
	        
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